Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
wie der Chor von Frauen im Radio »Ja« schrie, und »Sieg Heil«, und »Führer befiehl, wir folgen«.
Therese versuchte oft, sich vorzustellen, was Loni Lechner dachte. Wie es in ihrem Kopf aussah. Und Therese malte sich Lonis Gehirn aus wie einen großen Saal, geschmückt mit vielen Hakenkreuzfahnen. Um einen riesigen, glänzend gewienerten Tisch, der den Raum beherrschte, saßen Frauen wie Loni. Am Kopfende hielt die Führerin der NS-Frauenschaft, Gertrud Scholz-Klink, eine Rede. Alle Frauen trugen den gleichen Zopfkranz auf dem Kopf wie die Führerin, die jetzt mit einer Handbewegung die neben ihr Sitzende aufforderte, mit ihrem Referat zu beginnen. Die Frauen hörten unbewegt zu, den Blick auf das Porträt Adolf Hitlers gerichtet, das von vier Wänden des Raumes herabsah, so daß jede Frau es im Blick hatte. Auch die Rednerin sah auf das Bild, erklärte, daß sie alle für diesen Mann kämpfen, das heilige Feuer hüten sollten. Für das Volksheiligtum, für das edle Deutschtum, hätten sich alle zu schlagen und nicht einem selbstsüchtigen Genußleben zu frönen.
Die Stimme der Referentin erhob sich schrill und prangerte an, daß die Ausdehnung des Gebrauchs der Verhütungsmittel einen grauenvollen Umfang angenommen habe. Die schamlose Propagierung dieser Verhütungsmittel stelle eine Besudelung des Quellgebietes der Nation, der Familien, dar. Und schuld an alledem seien der sozialdemokratische Marxismus und das machtlüsterne Judentum. Die deutschen Frauen hätten dabei zu helfen, daß der jüdische Kapitalismus, der internationale Marxismus und die gemeinen Skribenten verschwänden. »Gerade unser Amt als Hüterin des Heiligsten im Volke«, schrie die Referentin und schaute wieder auf das Hitlerbild, »drängt uns Frauen zum Mitkampf für den Nationalismus.«
Im Raum wurde es immer wärmer, denn ringsherum anden Wänden waren Fackeln angezündet, die ein flackerndes Licht und ebensoviel huschende Schatten an die Wände warfen. Sie ließen von Hitler mal nur ein Auge, mal nur den Bart oder die Tolle sehen, was ihm etwas ungewohnt Lebendiges gab. Und von irgendwoher kam der Klang eines Kinderchores, in dessen Lied alle Frauen einstimmten. Kein schöner Land in dieser Zeit.
Therese war sicher, daß Lonis Verstand von Runenzeichen, Haken- und Mutterkreuzen geprägt war. Auf reingefegten Gehirnwindungen marschierten polierte Stiefel, begleitet von der Marschmusik einer Standartenkapelle. Manchmal fragte sich Therese, wie es in ihrem eigenen Bewußtsein aussähe, wenn sie nicht von Geburt an Jüdin und somit von vornherein in Hitlers neuem Reich verfemt gewesen wäre.
Loni Lechner. Sie haßte Therese, die ihr eine ständige Angst im Nacken war. Loni konnte Therese nicht abschütteln. Mitgefangen, mitgehangen. Doch Loni ließ Therese jederzeit ihre Überlegenheit, ihre Macht spüren. Einmal hörte Therese die Stimme von Max, der ihr das Essen brachte. Max bemühte sich, leise zu sprechen, doch die Zischlaute bohrten sich in Thereses Gehirn.
»Mama, warum kriegt s’ immer nur Kartoffeln?«
»Weil ich die Reste für morgen brauche, für den Gemüseeintopf.«
»Dann kochst halt was anders, aber gib ihr net immer nur Kartoffeln.«
»Was weißt du denn schon. Ich krieg doch für sie keine Marken, woher soll ich es denn nehmen?«
»Morgen kriegt s’ meinen Eintopf.«
»Und du, was willst du essen?«
»Nix, daß du’s weißt. Und wenn du net so an Haß auf die Frau Doktor hättst, dann tätst ihr das Essen vorher weg, bevor der Kerzl und der Hurler alles zusammenfressen.Aber du willst ihr ja gar nix gebn. Des weiß ich scho.«
»Ja wie redest denn du mit mir? Das sag ich heute abend deinem Vater. Die da drinnen, die hat dich ja ganz verhext.«
Maxl, Maximilian. Er war jetzt fast vierzehn. Manchmal wirkte er viel jünger. Dann wiederum konnte er hart und erwachsen aussehen. Maxl hatte dunkles Haar, es war lockig, teilte sich über der Stirn. Zwei Strähnen fielen ihm ins Gesicht. Er schob sie ständig zurück, als wüßte er, daß ihm die Locken etwas mädchenhaft Weiches gaben. Doch das täuschte. Maxl Lechner war ein Ritter. Ein entschlossener Kämpfer für das Überleben Thereses. Anfangs hatten sie ihm gesagt, Therese sei eine Münchner Schriftstellerin, die Hitler nicht genehm gewesen sei und daher in Schutzhaft genommen werden sollte. Und Maxl schaute anfangs oft in ihren Verschlag hinein, um sie zu fragen, wann er »das« mit scharfem »S« zu schreiben habe oder mit einfachem, und ob »gar nicht«
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