Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
in zwei Worten geschrieben werde oder in einem. Aus diesen Fragen hatte sich im Laufe der beiden Jahre ein seltsamer, aber wirkungsvoller Schulunterricht entwickelt, der Maxl von einer Vier im Deutschen auf eine Zwei, und in Geschichte und Mathematik auf eine Drei brachte, wo ihm vorher zwei Fünfen einen schlechten Stand in der Schule und hilflose Kritik im Elternhaus gebracht hatten. Diese unübersehbare Aufwärtsentwicklung in den schulischen Leistungen Maxls veranlaßte auch Loni dazu, das nachmittägliche Zusammensein Maxls mit Therese zu dulden. Denn Maxls schlechte schulische Leistung war Loni von ihrem Mann ständig vorgehalten worden. Diesen Streitpunkt war sie nun los. Doch sie wußte nicht so recht, was ihr mehr zuwider war. Das Herumnörgeln ihres Mannes an ihr als Erzieherin oder die respektvolle Verehrung, die er der Frau Doktor, die ja noch nicht einmal eine richtige Ärztin war, entgegenbrachte.Nicht nur der Maxl suchte schulischen Rat. Auch der Kaspar hatte es sich angewöhnt, seine Parteiquerelen mit Therese zu besprechen. Auch hier fühlte sich Loni in einem schweren Konflikt. Einerseits war sie erleichtert, daß von ihr die ungewohnte Denkarbeit nicht mehr gefordert wurde, andererseits brachte sie es manchmal in eine Art Blutrausch, wenn der Kaspar schier nicht mehr rausfand aus dem Verschlag. Nur gut, daß es da stank. Und daß die Frau Rheinfelder nur mehr ein häßliches Gerippe war.
Therese kannte Lonis Gedanken. Obwohl sie Loni selten wirklich zu Gesicht bekam, glaubte Therese sie zu durchschauen. Und es gehörte zu der in den Jahren ihres Sklaventums erworbenen Überlebensstrategie, daß sie Loni zu beschwichtigen suchte, wo immer sie ihrer habhaft werden konnte. So dankte sie ihr überschwenglich für jede Kartoffel, wenn Loni sie einmal persönlich bei ihr abstellte. Sie lobte die kleinen Grübchenhände Lonis und gab ihr die Schmuckstücke, die in den Polstern ihres Mantels eingenäht waren. Beim ersten Ring hatte sich Loni gewehrt.
»Ich will keinen Ring von Ihnen.«
»Warum nicht?«
»Weil er mir nicht paßt, und das wissen Sie auch.«
»Loni, nehmen Sie den Ring als Lebensmittelkarte. Ich habe keine, und Sie geben mir von Ihrem Essen jeden Tag ab.«
»Ich gebe es nicht gern.«
»Ich weiß. Deshalb nehmen Sie jetzt den Ring. Verkaufen Sie ihn. Tauschen Sie ihn bei den Bauern gegen Lebensmittel ein.«
»Dann kann ich den Leuten gleich erzählen, daß wir eine reiche Jüdin versteckt haben. Sie sind doch sonst immer so schlau.«
»Und wenn mich die Gestapo findet? Sollen die auch noch den Schmuck meiner Familie haben?«
Diesmal fiel Loni nicht sofort eine Antwort ein. Ächzend stand sie auf. Sie hatte ohnehin schon zu lange in der Tür des Verschlages gehockt. Jetzt bückte sie sich noch einmal, aber nur ganz leicht, so daß sie den Arm zur Tür hereinstrecken konnte. »Also geben Sie her. Ich hebe die Sachen für Sie auf.«
Und so hatte Loni nicht nur einen Ring, sondern auch die Ketten und Broschen, die Therese und Sybille in die Polster und Säume der Kleider genäht hatten, ehe sie ihren Besitz dem Nazizahnarzt überlassen mußten. Ebenfalls im Saum ihres Mantels hatte Therese das Veronal gehabt, eine Rolle Tabletten, die viele Juden der Todesart vorzogen, die die Nazis ihnen bereiten wollten. In den zwei Jahren ihres Untertauchens hatte Therese gelernt, daß man sich selbst an Todesnähe gewöhnt, wie an einen Zustand dumpfen Dösens, der aber jede Sekunde, bei jedem fremden Geräusch aufbrechen kann zu schmerzhaft angespannter Wachheit, jagender Angst. Ihre Arche Lechner, wie Therese ihren Unterschlupf manchmal nannte, begann dort durchlässig zu werden, wo Therese sie besonders widerstandsfähig geglaubt hatte. Der Hauptwachtmeister, bislang stärkster Garant ihrer Sicherheit, drohte in einem Konflikt unterzugehen, der sich innerhalb der letzten Jahre aus einer kleinen Episode zu einer bedrohlichen Krise entwickelt hatte.
Kaspar Lechner war als Repräsentant der staatlichen Obrigkeit in Wiesham angesehen. Vor allem aber galt er als guter Katholik, der auch dann zur Kirche hielt, als sie den neuen Machthabern unbequem wurde. Schon bei den Wahlen 1932 hatte die NSDAP im katholischen Wiesham eine deutliche Schlappe hinnehmen müssen. Auch nach der Machtübernahme hatte die Wieshamer kirchliche Obrigkeit die Hitler-Jugend von der Teilnahme am Fronleichnamszug ausgeschlossen. Daß Hauptwachtmeister KasparLechner damals gegen die kirchlichen Sanktionen nichts unternahm, wurde
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