Besessen
gefährlichen Gedanken sollte sich Bella besser sofort aus dem Kopf schlagen. Auf keinen Fall würde er es Nathan beichten, wenn Carrie sein Tagebuch gelesen hatte. „Zum Beispiel über seine Ex-Frau.“
„Er ist geschieden?“ Sie verzog das Gesicht. „Diese menschliche Sitte werde ich nie verstehen.“
„Es ist keine Sitte, es ist eine Ausnahmeerscheinung“, berichtigte Max. „Aber ich verstehe es auch nicht. Wenn man einfach nicht heiratet, sind die Dinge viel einfacher.“
„Ich habe gemeint, es ist nicht natürlich, wenn man sich von seiner Gefährtin trennt.“ Bella warf ein Kissen nach ihm.
Geschickt fing er es auf und warf es zurück. „Nathan ist nicht geschieden. Seine Frau ist tot. Er hat sie umgebracht.“
„Warum hat er das gemacht?“ Die Erkenntnis schien Bella zu verletzen.
Max blätterte ein paar Seiten zurück und las vor: „‚Jede Nacht wünsche ich mir, dass ich anders gehandelt hätte. Ich wünsche mir, ich hätte es ausgehalten, dass sie mich verhungern ließen. Wäre ich damals stark gewesen, wäre ich jetzt tot und müsste nicht mit dieser Schuld leben‘.“ Er schlug das Buch mit einer Hand zu. „Ich nehme an, er hat sich von ihr ernährt. Stand das nicht in seiner Akte?“
„Vielleicht in der versiegelten Bewährungsakte“, fuhr sie ihn an. „Du redest von solchen Dingen, als ob sie egal wären. Weil du eine Kreatur bist, die den Tod nicht kennt, bedeutet dir das Leben nichts mehr!“ Ihr Körper zitterte, ob vor Wut oder Angst, oder vor beidem, konnte Max nicht unterscheiden.
Aber auch wenn sie Angst hatte, ihre Vorwürfe machten ihn wütend. Er stand auf und gab dem Instinkt nicht nach, mehr Gewicht auf das linke Bein zu verlagern, das unangenehm prickelte. „Hör mal gut zu, ich weiß eine ganze Menge über den Tod.“ Marcus’ Gesicht blitzte in seiner Erinnerung auf, schmerzhaft wie ein Messer, das sich in seine Brust bohrte. „Ich töte nicht mehr.“
„Aber du hast getötet. Früher hast du getötet.“ Es war keine Verurteilung, nur eine simple Darstellung von Fakten.
Fakten, an denen es nichts zu rütteln gab. „Fast alle von uns haben irgendwann einmal getötet. Und du bist eine Vampirjägerin. Du tötest Vampire. Wo liegt der Unterschied?“
Obwohl sie schon vollkommen gerade saß, setzte sie sich noch aufrechter hin. Die Kraft ihrer Überzeugung strahlte von ihr ab wie ein Höllenfeuer. „Ich töte die, die sich an den Schwachen vergehen. Ich töte aus Notwendigkeit, um Ordnung und Frieden aufrechtzuerhalten.“
„Klar, und dass du dabei deine tierischen Instinkte ausleben kannst, ist nur ein Sonderbonus.“ Ihr Gespräch verwandelte sich zusehends in einen Streit, auf den er überhaupt keine Lust hatte. Ihre Zusammenarbeit in den letzten Stunden war so friedlich gewesen.
„Mir bereitet das Töten kein Vergnügen“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Diejenigen unter uns, die die Bedeutung unserer wahren Natur zu schätzen wissen, wollen nicht so werden wie die mörderischen Lupiden.“
Zu seinem Erstaunen bekreuzigte sie sich und spuckte irgendwie geziert aus, nachdem sie den Namen ausgesprochen hatte. Er räusperte sich. „Ja, klar. Eure wahre Natur. Vielleicht verrätst du mir, um was es dabei geht?“
Bella griff nach dem Reißverschluss ihres hohen Kragensund zog ihn auf. Unter der langärmligen schwarzen Lederjacke, die sie immer anhatte, trug sie nur einen BH. Die Sex-Abteilung in Max’ Kopf bemerkte, dass der BH dasselbe Muster hatte wie der Slip, den er gestern kurz gesehen hatte, auch wenn sie ihn heute nicht mehr trug. Der Slip hing zum Trocknen über der Brause im Badezimmer.
Ihm blieb keine Zeit, über ihren nackten Körper zu fantasieren, der in den Jeans steckte, die sie sich von Carrie geborgt hatte. Bella streifte die Jacke von ihren Schultern, und dunkle Buchstabenlinien, die sich um ihre Oberarme wanden, nahmen Max’ Interesse in Beschlag.
Sie streckte den einen Arm aus, damit er die Buchstaben lesen konnte. Ein Teil war Latein, ein anderer Hebräisch, dann eine seltsame Sprache, die er nicht zuordnen konnte, und Italienisch. Die Worte verliefen so, wie es die Sprache verlangte, nach oben oder nach unten, von rechts nach links, von links nach rechts. Max nahm sich eine einzelne Linie Latein vor und hatte keine Schwierigkeiten, die Worte zu übersetzen. „Eine Schuld, durch den Tod des Gottesmenschen, Yeschua, Joschua, Jesus Christus von Nazareth, auf sich geladen, die nie zurückgezahlt
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