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Besessen

Besessen

Titel: Besessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Armintrout
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einiges mehr als ein paar Tage in Gefangenschaft und auch mehr als eine pervertierte Liebe zum Beschützer wie beim Stockholm-Syndrom.
    Wie ein Mittel zum Zweck hatte ich ihn behandeln wollen, wie einen Baustein in meinem Plan, Nathan zu retten. Ich hatte in die Kirche eindringen, ihn schnappen und dann ohne eine Gefühlsregung zurück nach Grand Rapids fahren wollen. Wenn ich mir besser überlegt hätte, wie naiv und rücksichtslos dieser Plan war, dann wäre dieses unschuldige Mädchen vielleicht noch am Leben.
    Cyrus weinte, bis keine Tränen mehr kamen, doch die heftigen Schluchzer, die seinen Körper schüttelten, wollten nicht aufhören. Ich stieß ihn sanft von mir weg und legte ihm die Hände auf die Schultern. „Beruhig dich. Wenn du so weitermachst, wird dir schlecht.“
    „Beruhigen?“ Aus seinen geröteten Augen starrte er mich empört an. „Du kannst doch nicht im Ernst erwarten, dass ich mich beruhige? Sie ist tot!“
    Okay, keine gute Taktik . „Ich weiß, dass sie tot ist und dass du leidest. Aber du tust ihr keinen Gefallen, wenn du hier bleibst und dich auch noch umbringen lässt.“
    Cyrus nickte resigniert, doch ich nahm an, dass er sich nur zu einem vernünftigen Verhalten zwang, weil er dachte, dass sein Verlust mir egal war, oder dass ich nicht verstand, was Mouse ihm bedeutet hatte. „Du hast recht.“ Er richtetesich auf und ging zum Bett. „Aber wir werden sie nicht so zurücklassen.“
    „Du möchtest sie beerdigen?“ Meine Frage klang extrem hart und geschäftsmäßig, aber ich meinte es gar nicht so.
    Ihn störte es offensichtlich nicht. Er schaute sie an, als sei sie kein toter Mensch, sondern nur ein zerbrechliches, wertvolles Objekt, und mir wurde klar, dass er die Realität ihres Todes aus seinem Bewusstsein verdrängt hatte. Die Hülle, die sie zurückgelassen hatte, war ihm immer noch wertvoll, aber er verband sie nicht mit dem Mädchen, das er geliebt hatte.
    „Nein. Da draußen ist nur Sand. Ich möchte nicht, dass ein Tier sie findet.“ Seine Stimme zitterte leicht bei den letzten Worten, aber er weinte nicht. „Bring mir ein paar Handtücher aus dem Badezimmer, damit ich sie saubermachen kann.“
    So verbrachten wir den Rest der Nacht. Cyrus wusch sorgfältig das Blut von ihrer Haut und bat mich, ihr die aufgerissene Kehle und die Bisswunden auf ihrem Körper zu verbinden. Behutsam kämmte er ihre Haare, trotz der blutigen Masse, die in ihnen klebte. Dann legte er ihren Kopf auf das Kissen. Mit der Technik, die ich im Krankenhaus gelernt hatte, wechselten wir die verschmutzten Leinentücher, ohne den Körper von der Matratze zu heben, dann zog Cyrus ihr das Sommerkleid an, offenbar hatte sie kein anderes Kleidungsstück.
    „Die Sonne geht schon fast auf“, bemerkte Cyrus, als wir fertig waren. Seine Stimme klang angespannt und müde. „Wir müssen los.“
    „Du kommst mit mir?“ Sofort fragte ich mich nach seinen Gründen für diese Entscheidung. Auch wenn seine Trauer aufrichtig war, so war er doch immer noch der Mann, derfreudig Opfer für die Blutlust seines Vaters herangeschafft und unschuldige junge Mädchen zu seinem eigenen, perversen Vergnügen ermordet hatte. Ganz würde ich ihm nie vertrauen können.
    Mühsam nickte er und wandte dabei den Blick nicht von den starren Augen des toten Mädchens. Abwesend berührte er ihr Gesicht und schloss mit seinen Daumen sanft ihre Augenlider. Sie öffneten sich wieder ein wenig, sodass es aussah, als ob sie schliefe.
    „Wenn ich sie hier zurücklasse, dann wird sie …“ Er schluckte und fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Sie wird verrotten.“
    „Willst du, dass wir sie doch begraben?“ Ich schaute in den Himmel, an dem die Sterne allmählicher blasser wurden. Für ein Begräbnis hatten wir keine Zeit mehr. Zumindest für mich war es zu knapp. „Die Polizei wird merken, dass die Kirche wieder aufgetaucht ist. Morgen früh werden sie hier sein. Ich wundere mich sowieso, dass noch niemand gekommen ist. Willst du wirklich geschnappt werden, wie du eine Leiche vergräbst.“
    „Warum nicht? Mir kann doch nichts Schlimmeres passieren, als dass ich auf dem elektrischen Stuhl lande.“ Sein Lachen war bitter. Doch ich glaubte nicht, dass er schon voll erfasst hatte, was es bedeutete, wieder ein Mensch zu sein. Ihm war noch nicht klar, wie sehr er an seinem Leben hängen würde, wenn er davorstand, es zu verlieren.
    Cyrus begrub das Gesicht in beiden Händen, weniger aus Kummer, sondern vor Erschöpfung.

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