Besessene
sie.
»Ich kenn sie überhaupt nicht«, schimpfte die Frau. »Sie hat mich gebeten, auf ihren Stand aufzupassen, dabei müsste ich mich dringend um meinen eigenen kümmern.«
Im gleichen Moment sah ich in meinem Blickfeld etwas aufblitzen, nichts weiter als ein Stückchen Stoff, das sofort wieder in der Menge verschwand. Ich wusste, es gehörte zuihr, und konnte nicht anders, als ihm folgen. Doch wo immer ich mir einen Weg durch die Menschenmenge bahnen wollte, kam ich nur langsam und schwerfällig voran, während sie sich leichtfüßig wie ein Gespinst bewegte, wie eine schwebende, tänzelnde Feder, wie ein entweichender Ballon, wie eine Ballerina, die ihre Pirouetten dreht. Jedes Mal, wenn ich sie gerade aus den Augen verloren hatte, tauchte irgendein Teil von ihr wieder auf, sah ich sekundenlang ihren Ohrring, ihr Haar oder auch nur ihre Mundwinkel, während sie sich umdrehte – fast konnte ich ihr Lachen um mich hören.
Vernünftig wäre es gewesen aufzugeben, zu meinen Freundinnen zurückzukehren, aber ich brachte es nicht über mich und das wusste sie. Es wurde immer schwieriger, sich durch die Menge zu drängen, und inzwischen war es mir auch egal, ob ich dabei jemandem auf die Füße trat oder ihm meinen Ellbogen in die Rippen stieß. Einmal rempelte ich sogar gegen einen Stand und Geschirr und Bücher flogen ins Gras, doch nicht einmal das laute und empörte Protestgeschrei konnte mich aufhalten. Jetzt sah ich vor mir eine Stelle, an der sich die Menge etwas lichtete und Asphalt durchschimmerte, was den Anfang des Parkplatzes signalisierte. Ich legte Tempo zu, und als ich den Rand des Felds erreicht hatte, konnte ich auch endlich wieder Atem holen. Keuchend sah ich ein paar Sekunden lang zu den Wolken hoch, da mich der plötzliche Anblick von so viel freier Fläche verwirrte. Ein schneller Blick nach rechts und links gab gar nichts preis – es war, als habe die Atmosphäre das Mädchen verschluckt. Wie sie sich bewegte, mit welcher Geschwindigkeit und dass sieimmer wieder vor meinen Augen verschwand – sie konnte kein Mensch aus Fleisch und Blut sein!
Ein Geräusch ließ mich schließlich zusammenfahren. Jemand räusperte sich. Langsam drehte ich mich um und erstarrte. Kaum anderthalb Meter von mir entfernt sah ich das Mädchen, das gerade aus einem öffentlichen Wasserhahn Wasser in einen Becher laufen ließ. Wie angewachsen stand ich da. Sie war aus Fleisch und Blut, kein Hirngespinst von mir, daran war nicht zu zweifeln. Ich starrte sie an, bis sie endlich aufsah und meinen Blick erwiderte, ohne nur mit der Wimper zu zucken.
Dann kam ich wieder zur Vernunft. Ich ging auf sie zu und streckte ihr meine Hand entgegen, in der der Anhänger lag. »Ich glaube, das ist deiner.«
»Oh ja?«, fragte sie scherzhaft. »Mir ist gar nichts runtergefallen.«
»Aber du warst bei mir zu Hause und hast nicht auf dein Geld gewartet.«
Ihre ovalen Augen schlossen sich halb. »Haben wir zwei denn miteinander gesprochen?«
Eine dumme Situation. Ich fühlte mich plötzlich wie ein kleines Kind. »Ich war nicht … nein, haben wir nicht. Meine Mutter hat aufgemacht. Mit ihr hast du gesprochen.«
Das Wasser lief über den Rand des Bechers und spritzte ihr die Füße nass, doch sie drehte den Hahn nicht ab. »Woher weißt du dann, dass ich es war?«
»Dein Stand …« Ich kam ins Schleudern. »Ich habe den Anhänger an deinem Schmuckstand wiedererkannt.«
Sie kräuselte die Lippen zu einem leichten Lächeln. »So einen habe ich dort gar nicht.«
Ich wurde knallrot im Gesicht. »Okay … meine Mutter hat dich beschrieben, dann habe ich dich hier gesehen und eins und eins zusammengezählt und …«
»Bist mir gefolgt«, beendete sie meinen Satz.
Es war völlig verrückt. Jetzt sah es so aus, als wäre ich der Stalker und nicht sie, und ich konnte auch nicht sagen, ob ein ärgerlicher Tonfall in ihrer Stimme mitschwang oder nicht. »Dann gehört der Anhänger also nicht dir?«, fragte ich herausfordernd.
»Lass mich mal sehen.«
Ihre Finger berührten meine und mir war, als ob ein Stromschlag durch meinen Körper fahren würde. Mein Herz raste so sehr, dass ich sogar einen Schritt von ihr zurücktrat, sie aber schien völlig ungerührt zu sein. Sie runzelte die Stirn und warf mir den Anhänger wieder zu. »Ich bin mir nicht sicher.«
Das Ganze führte zu nichts, trotzdem weigerte ich mich, als Loserin zu Nat und Hannah zurückgekrochen zu kommen. Also versuchte ich, ihr mit fester Stimme und
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