Besessene
schieben, und kauerte mich für einen Moment auf den Boden, um wieder Atem zu schöpfen und das Zittern in meinen Knien loszuwerden.
»Entschuldige, Kat«, sagte Luke vergnügt. »Das machen sie im Film doch auch immer, wenn sie von sich ablenken wollen, und diesmal scheint es ja geklappt zu haben.«
»Gute Idee«, sagte ich. Ich atmete immer noch etwas schwer und konnte ihm nicht in die Augen sehen.
»Du siehst ganz aufgewühlt aus.« Luke lachte. »Ich war auch etwas nervös, aber wir sind ja noch mal davongekommen.«
Ich blieb am Boden kauern, weil ich mich immer noch nicht ganz beruhigt hatte und mir auch nicht sicher war, was mich mehr mitgenommen hatte – Lukes Kuss oder die erzürnten Männer aus dem Dorf. Ich stützte mich mit einer Hand auf einen Stein, der etwas mehr als einen halben Meter von der Friedhofsmauer entfernt lag. Erst als ich aufstehen wollte, entdeckte ich zwischen Flechtensporen und verwildertem Gezweig einen verblichenen Schriftzug auf dem Stein. Es musste einmal ein Grabstein gewesen sein, der schräg in die weiche Erde eingesunkenwar und jetzt nur noch die Form eines Dreiecks hatte.
»Mann, sieh dir das an.«
Ich ging in die Hocke und Luke kauerte sich neben mich.
»Kannst du den Namen entziffern?«, fragte ich ihn.
Er schüttelte den Kopf und sah mich eindringlich an. »Da ist nur noch ein G zu sehen, aber zieh bitte keine Rückschlüsse daraus.«
»Da steht doch auch eine Zahl«, sagte ich triumphierend und fuhr mit dem Finger über den verwitterten Sandstein. »Eine 1 und … da ist eine 6. Das Grab stammt folglich aus dem siebzehnten Jahrhundert. Hier liegt jemand, den man ganz offensichtlich nicht wieder ausgebuddelt hat.«
»Da könntest du recht haben«, antwortete Luke. »Aber ich habe gerade noch etwas viel Interessanteres entdeckt. Sieh dir mal das an.«
Er schob eine der Kriechpflanzen zur Seite und eine in den Stein gemeißelte Hand kam zum Vorschein.
»Und was ist das? Klar, offensichtlich eine Hand, aber was hat sie zu bedeuten?«
Luke stand auf und legte grübelnd beide Hände an die Schläfen. »So etwas hab ich doch schon irgendwo gesehen, ich überleg nur gerade, wo.«
Ich schwieg, während Luke auf und ab ging und schließlich triumphierend die Faust in die Luft stieß.
»Ich wusste es doch, ich vergesse nie eine Geschichte! Ich hab an Halloween davon gelesen … da tauchen doch die ganzen abgedrehten Spukgeschichten auf und in der, die ich meine, ging es um einen Friedhof in den Midlands, in dem man Hand- und Fußreliefs gefunden hat. Die Einheimischensagen, dass man an diesen Zeichen eine Hexe erkennt und dass demjenigen, dessen Hand oder Fuß in die Abdrücke passt, schweres Unglück widerfährt.«
»Und daran glaubst du?«, fragte ich. Ich fing unwillkürlich an zu zittern und zog rasch die Hand weg, um ja nicht mit den Umrissen des Reliefs in Berührung zu kommen.
»Natürlich nicht, aber … es könnte eine Erklärung dafür sein, warum Thomas Winter die Geschichte zurückgezogen hat. Wenn man zusätzlich zu seinen Funden auch noch das Grab entdeckt hätte, dann wären vermutlich Hunderte von Geister- und Hexenjägern über das Dorf hereingebrochen.«
»Vermutlich«, sagte ich skeptisch.
Luke sah zum Himmel hoch und plötzlich hatte ich große Lust, ihn noch einmal zu umarmen. Es ist nur Luke, sagte ich mir, doch es war, als sei an diesem Abend ein anderer an seine Stelle getreten, und ich war verwirrt.
»Ist das der Nordstern, Kat?«
Ich sah ihn fragend von der Seite an. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
»Mir fällt da nämlich noch was ein, das dir einen Schreck einjagen könnte«, sagte er lächelnd. »Wenn dieser Teil des Friedhofs hier nach Norden ausgerichtet ist, dann stehen wir auf der Teufelsseite.«
»Ach komm!«, rief ich. »Wieso denn das?«
»Das ist die Seite, auf der die Ungetauften, Selbstmörder und Exkommunizierten in anonymen Gräbern beerdigt wurden.«
Das klang so traurig, dass ich nicht mehr länger bleiben wollte, zumal mir daran lag, etwas auf Abstand zu Luke zugehen. Kurz angebunden sagte ich daher: »Wir sollten uns jetzt auf den Weg machen, Luke. Ich hätte dich gar nicht erst hierherbringen sollen … das war mal wieder eine meiner Schnapsideen.«
»Kat, sieh mich an.« In Lukes Stimme klang etwas mit, das mich dazu bewegte, stehen zu bleiben und mich langsam zu ihm umzudrehen. Sein Gesicht zeigte nichts von seiner üblichen Leichtfertigkeit. »Der heutige Abend war … eine Ausnahme
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