Besessene
von zu Hause entfernt. Muss ich mir Sorgen machen?«
»Ich muss Greta Alice Edwards finden«, sagte ich nur.
Ich konnte gerade genug von Lukes Gesicht erkennen, um zu sehen, dass er zwar leicht verwirrt, doch nicht verärgert war. »Wann ist sie denn gestorben?«
»Ähem … 1691. Geboren 1675.«
Luke lachte leise. »Dann wirst du sie hier nicht mehr finden, Kat. Sieh dich mal um.«
Mit gerunzelter Stirn ließ ich meinen Blick von einem Grabstein zum anderen schweifen, verstand aber immer noch nicht. Erst als Luke mit dem Finger eine Linie unter die Geburts- und Todesdaten zog, wurde mir klar, was er meinte. Die frühesten Daten stammten aus den Zwanzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts.
»Aber … sie hat hier mal gelegen«, sagte ich zu Luke. »Irgendwann jedenfalls.«
»Vielleicht liegt sie auch immer noch hier«, antwortete Luke behutsam, »aber nach so vielen Jahren müssen sie … na ja, die Grabstelle aus Platzgründen neu belegen.«
»Das heißt … sie bestatten da dann jemand anderen?«, fragte ich ungläubig, »und entfernen auch den Grabstein?«
Luke nickte entschuldigend, als sei er persönlich dafür verantwortlich. »Manchmal kommt es sogar noch schlimmer, Kate. Dann räumen sie die Gräber aus und stapeln die sterblichen Überreste in einem sogenannten Gebeinhaus, um für neue Verstorbene Platz zu schaffen.«
»Und was ist das – ein Gebeinhaus?«
»Na ja, ein Ort eben, an dem ausgebuddelte Gebeine aufbewahrt werden«, antwortete Luke ohne Umschweife.
Ich fand die Vorstellung ungeheuerlich, hatte aber keinen Grund, Luke nicht zu glauben, zumal er wie ein wandelndes Lexikon voller interessanter Informationen für mich war. »Das wusste ich ja gar nicht.«
»Wieso auch? Ist ja nicht gerade ein Allerweltsthema.«
»Auf alle Fälle stecken wir in der nächsten Sackgasse«, sagte ich schmollend. »Ich hatte mir irgendein Zeichen erhofft … keine Ahnung, was für eins genau … irgendwas Bedeutsames eben.«
»Willst du mir sagen, wer sie ist, Kat, oder muss ich raten?« Ich sah in die Ferne und atmete den harzigen Geruch von Kiefernzapfen ein, der sich mit einem kräftigen Wildblumenduft mischte. Ich weiß nicht, ob es an der wunderbaren Mondnacht lag oder daran, dass mir Luke zugänglicher vorkam als sonst, auf alle Fälle unternahm ich nicht mal den Versuch, meine okkulte Geschichte abzuändern, und setzte mich freiwillig Lukes Spötteleien aus. Im Flüsterton – kaum lauter, weil sich hier jedes Geräusch zu verstärken schien – schilderte ich ihm die Zusammenhänge von Thomas Winters Geschichte.
»Und das hast du alles allein rausgekriegt?« Luke klang ernsthaft beeindruckt.
»Na ja … Mum hat mir ein bisschen geholfen«, gab ich zu.
»Und der Typ hat sich diese Schauergeschichte nur einfallen lassen, um damit andere zu beglücken?«
Ich blies die Backen auf und stieß die Luft dann wieder aus. »Anscheinend.«
»Aber …
du
glaubst nicht daran, sonst wären wir ja nicht hier.«
Luke durchschaute mich dermaßen gut, dass ich einfach nichts vor ihm verbergen konnte.
»Als ich seinen Bericht las … war ich mir sicher, dass er die Wahrheit sagte.«
»Weil du es in den Knochen gespürt hast«, zog er mich auf.
Ich betrachtete Lukes Gesicht im weichen Mondlicht, während ich mich innerlich darauf vorbereitete, die letzte Bombe platzen zu lassen. »Da ist noch etwas anderes, Luke … etwas, das ich selbst erst seit heute Abend weiß. Die Frau des Pfarrers hat mir erzählt, dass Genevieves Kinderheim in Martinwood untergebracht war, dem gleichen Geisterhaus also, über das Thomas Winter geschrieben hat.«
Luke ließ seine Knöchel knacken, was so klang, als ob jemand auf einen Zweig trat. »Also gut. Dann schildere mir mal deine Theorie«, sagte er aufmunternd.
Der Mond verschwand hinter einer Wolke, als ich zu sprechen begann, und es half mir, dass nur ein Teil meines Gesichts zu erkennen war. »Ich glaube, dass alles stimmt,was in Thomas Winters Bericht steht«, sagte ich ernst, »und dass er seine Geschichte nur deshalb zurückgenommen hat, weil irgendetwas … na ja … vorgefallen ist.«
»Oder weil ihm jemand erschienen ist«, zischte Luke und pustete mir in den Nacken, sodass ich einen kleinen Satz machte.
»Okay … sagen wir, jemand ist ihm erschienen«, stimmte ich ihm zu. »Martinwood ist jedenfalls das Verbindungsglied zwischen Greta, der Hexe und Genevieve.«
»Der Hexe?«
»Warum denn nicht? Nachdem er
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