Besessene
Weihnachtsgeschenk.«
Ich hätte mich selbst ohrfeigen können – warum nur hatte ich mich überreden lassen, so kurz nach dieser Party hierher, in Merlins Haus, zu kommen! »Ich kann nichts von dir annehmen … wirklich nicht.«
»Aber außer dir kann niemand etwas damit anfangen«, sagte Merlin grübelnd, »und ich wäre echt verletzt, wenn du’s nicht tust. Meinst du, du schaffst es die Treppen rauf ins Studio? Ich möchte, dass du mein Geschenk in der richtigen Umgebung siehst.«
Er sagte es so eindringlich, dass ich nicht länger protestieren konnte und zuließ, dass er mir die Treppe in sein Studio hinaufhalf, wo mir schon an der Tür ein kalter Windstoß entgegenschlug. Das Dachfenster stand weit offen und einige vertrocknete Blätter waren hereingeflogen und lagen verstreut auf den Holzdielen herum. Merlin schien meine Anwesenheit zu beleben, denn er legte mir beide Hände auf die Schultern. Mir wurde flau von der Berührung und schlagartig war ich von dem Gefühl erfüllt, was er und ich verloren, nie gesagt und nie erlebt hatten. Es drängte bis in meine Kehle vor und blieb dort stecken, nahm mir allen Atem. Ein Teil von mir hätte Merlin am liebsten weggestoßen, der andere aber sehnte sich danach, sich in ihm zu verkriechen.
Dann sah ich unser Spiegelbild in Merlins Spiegel und war verblüfft: Wir beide sahen so gut zusammen aus! Einen größeren Beweis, dass er mich liebte, konnte es doch gar nicht geben. Nicht Genevieve, nein, ich war mit ihm hier und er tat alles, um sämtliche Missverständnisse aus derWelt zu räumen. Ich wurde weicher und wollte mich gerade zu ihm umdrehen, da stach mir etwas Farbiges ins Auge. An einem Haken oberhalb des Seitenfensters hing ein kleiner Gegenstand, der sich im Luftzug wirbelnd drehte und feine smaragdgrüne Strahlen aussandte. Woher er stammte, war unschwer zu erkennen und ich rückte instinktiv von Merlin ab.
Finster sah ich zum Fenster hinüber und sagte: »Den Anhänger da kenn ich doch … der ist von Genevieve.«
»Der ist mir überhaupt nicht aufgefallen«, murmelte er. »Die Dinger macht sie haufenweise und verschenkt sie an Mums Schüler.«
»Aber nicht solche wie diesen da.«
»Dann hat sie ihn wahrscheinlich hier vergessen.«
»War Genevieve denn hier? In deinem Atelier?«
»Ja … sie hat … sie hat mir nur bei dem Geschenk für dich geholfen.«
Ich konnte mich nicht einmal mehr zu einem Kommentar aufraffen und sah den sich am Himmel rasch bewegenden Wolken zu, die wunderschön und wie ein lebendes Kunstwerk vom Dachfenster des Ateliers eingerahmt zu sein schienen. Merlin ging zu seiner Staffelei hinüber und plötzlich graute mir. Über allem, was in letzter Zeit geschehen war, hatte ich das Bild von mir, das er begonnen hatte, ganz vergessen – na klar … natürlich war
das
sein Geschenk für mich.
»Ich kann das nicht annehmen, Merlin … nicht jetzt.«
»Das musst du aber«, sagte er drängend. »Es ist fertig und ich hab es nur für dich gemacht.« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich kann es niemand anderem schenken.«
»Und dabei hat dir Genevieve geholfen?«, fragte ich misstrauisch.
Er nickte.
»Aber … du hast doch selbst einmal zu mir gesagt, du könntest mich auch blind malen.«
Merlin streckte die Hand aus und berührte mich an der Wange. »Das stimmt auch, Katy, nur … als ich so eifersüchtig war auf Luke … da hab ich dich auf einmal aus dem Blick verloren.«
»Du hast mich aus dem Blick verloren«, wiederholte ich verzweifelt.
»Nicht lange, Katy … und ich hätte auch jederzeit eine Ähnlichkeit mit dir herstellen können, verstehst du, aber … ich musste einfach deine Seele einfangen, sonst wäre es wie jedes x-beliebige andere Bild geworden.«
»Und Genevieve? Wie hat denn ausgerechnet sie dir dabei helfen können?«
Er runzelte die Stirn und rang nach Worten. »Na ja … ihr beide seid ja ähnlich kreativ und in gewisser Weise spirituell … allein schon ihre Gegenwart hat mich daran erinnert, wie wunderbar du bist.«
Da hatte also Genevieve meinen Platz als Merlins Muse eingenommen. Wenn ich jetzt eines sicher nicht mehr wollte, dann dieses Bild ansehen – für mich war es verdorben, ein für alle Mal. Ich war schon auf dem Weg zur Tür, da bemerkte ich, wie Merlin sukzessive das Tuch von der Leinwand zog, und wurde gegen meinen Willen Zeuge ihrer schrittweisen Enthüllung. Irgendwann im Laufe des Entstehungsprozesses hatten sich winzige Details
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