Besessene
meinen Vater aufspüren wollen. Vielleicht ist sie ja deshalb auch so angespannt. Mit meinem Dad muss irgendetwas sein, das ich nicht rausfinden soll.«
»Mit Genevieve hat all das aber nichts zu tun, oder?« Luke seufzte.
»Sieht nicht so aus. Das Foto könnte uns wahrscheinlich weiterhelfen, aber ich habe keine Ahnung, wer das Baby darauf ist.«
Lukes Stimme klang leicht amüsiert. »Na, du natürlich.«
»Das bin ich aber nicht«, beharrte ich. »Auf der Rückseite steht zwar etwas, aber es ist schon verblichen.«
»Wie war das noch mal mit dem Trick, den wir in unserem Spionageclub gelernt haben? Wie sich verblasste Schriften wieder lesen lassen?«
»Da durfte ich ja kein Mitglied werden«, erinnerte ich ihn. »›Mädchen haben keinen Zutritt‹, hieß die Regel.«
Luke zog mich spielerisch an den Haaren und nahm einen Bleistift aus der Hosentasche. Fasziniert sah ich ihm zu, wie er vorsichtig die Rückseite des Fotos mit einer dicken Schicht Grafit ausschraffierte. Wenn man genau hinschaute, sah man, wie die Schrift nach und nach zum Vorschein kam und sich weiß von der grauen Fläche abhob.
»Und was steht da?«
Luke war hoch konzentriert und sah nicht ein einziges Mal auf. »Ich kann nur ein Datum erkennen … 5. Juni und das Jahr ist … 1994.«
»Das ist mein Geburtsdatum«, sagte ich völlig entgeistert.
Luke starrte auf das Foto. »Jetzt kommt auch noch ein Name, Katy. Da steht eindeutig … ›Katy Rivers‹.«
Ich schnaubte durch die Nase. »Ich bin das Baby aber nicht, da bin ich mir ganz sicher.«
»Du erkennst dich selbst nicht«, sagte Luke und lachte. »Babys schauen doch alle gleich aus, behauptet jedenfalls meine Mutter.«
»Irgendetwas übersehen wir bei der ganzen Sache«, sagte ich seufzend. »Es ist genauso, wie wenn einem etwas auf der Zungenspitze liegt, aber man nicht draufkommt.«
Ich sah mir noch mal die Geburtsurkunde an und las jede einzelne Spalte. »Hey, sieh dir das an. Ich bin in einer Entbindungsklinik in Nord Yorkshire geboren worden.« Ich klatschte in die Hände, doch Luke schien diese Nachricht nicht besonders zu beeindrucken.
»Na und?«
»Da haben wir doch in Genevieves Vergangenheit herumgestöbert – wenn das kein Zufall ist?«
»Na ja …Yorkshire ist eine der größten Grafschaften Englands, aber … wenn du meinst, Katy. Was hat denn deine Mutter da gemacht?«
Ich schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Mum hat nie erzählt, dass sie mal woanders gelebt hat, und mir selbst ist auch nie eingefallen, sie danach zu fragen.«
Da war es wieder, das Gefühl, dass mich etwas anstarrte; doch ich war zu blind, um es zu erkennen. Ich versuchte, alle Einzelteile zu einem Bild zusammenzusetzen, aber es verflüchtigte sich gleich wieder und ich hätte vor Verzweiflung schreien können. Völlige Kraftlosigkeit schien meinen ganzen Körper zu befallen und ich musste auf der Stelle weg von hier. Der Blick von der obersten Stufe der steilen Holztreppe war ungleich beängstigender als umgekehrt, und mir wurde etwas schwindlig. Trotzdem stieg ich die Treppe so schnell hinunter, dass ich auf der untersten Stufe stolperte, mit dem Fuß umknickte und auf dem Boden lag, als Luke herunterkam. Mit beiden Händen hielt ich meinen Fuß umklammert, fast schon froh darüber, dass der Schmerz mich ablenkte.
Kapitel 26
W ir legen gleich ein bisschen Eis drauf, Katy, dann wird die Schwellung vielleicht nicht so stark.«
»Ich kann noch nicht mal aufstehen … stützt du mich?«
Luke half mir auf die Beine, legte seinen Arm um meine Taille und meinen über seine Schulter, um mich zu entlasten, während ich aus seiner Haustür hüpfte. Selbst die wenigen Schritte bis zu unserem Haus waren mir kaum möglich. Mein Knöchel war längst angeschwollen und mein Schuh wurde von Sekunde zu Sekunde enger.
»Wenn ich dich jetzt kitzeln würde, wärst du aufgeschmissen«, scherzte er.
»Wag nicht mal, dran zu denken!«, sagte ich mit einem matten Lachen, denn mir war übel, da mein Fußgelenk so heftig pochte.
Ich hörte jemanden kräftig husten, blickte auf und hätte fast das Gleichgewicht verloren. Wenn Luke mich nicht gehalten hätte, dann wäre ich vermutlich in Mums Rosenbusch gefallen.
»Hi Merlin«, gelang es mir zu flüstern. »Ich … habe mich am Fuß verletzt und Luke hilft mir, ins Haus zu kommen.«
Er sah uns finster an. »Lass mich das machen«, sagte er.Luke zwinkerte mir heimlich zu, ließ Merlin übernehmen und ging diskret nach Hause.
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