Besessene
der Rebecca damals lebte … war ziemlich heruntergekommen und lag in keinem schönen Viertel. Und einige der Mieter in ihrem Haus hatten wohl auch ziemliche Probleme … mit Drogen, vermute ich.«
»Hat Mum etwa …?«
»Du liebe Zeit, nein! Aber … es gab da einen Zwischenfall.«
»Was denn für einen Zwischenfall?«
Gran räusperte sich, spielte mit ihren Ringen und verschränkte die Arme auf die gleiche Weise wie Mum, wenn sie nervös war. »Eine der Frauen, die dort in dem Haus wohnten … hatte wohl eine Überdosis genommen … und unglücklicherweise nicht überlebt.«
»Kannte Mum sie?«
Gran nickte. »Rebecca war zutiefst erschüttert. Sie hat sehr lange gebraucht, um darüber hinwegzukommen,und eine Weile haben wir uns große Sorgen um sie gemacht.«
Das war vielleicht der Schlüssel zu der Frage, warum Mum immer so labil gewesen war. »Wie hat sie reagiert?«
Gran sah aus dem Fenster und die Sorge stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Sie hat sich ganz in ihre eigene Welt zurückgezogen … war so ganz anders als das heitere, aufgeweckte Mädchen, das von zu Hause fortgegangen war. Wir wussten beide, dass sie leidet, konnten ihr jedoch nicht helfen.«
»Aber … Mum ist doch irgendwann wieder bei euch ausgezogen und hat ihren eigenen Ort gefunden. Da muss sie sich doch etwas stabiler gefühlt haben?«
Gran nickte. »Nach einer Weile schien unser Garten sie zu heilen. Sie verbrachte ja den halben Tag damit, sich um die Pflanzen zu kümmern. Ihr Lieblingsplatz war übrigens unter unserer Trauerweide; sie hat sie sogar nach dir benannt, Katy.«
Ungeheure Traurigkeit stieg in mir auf. »Und … ist Mum danach noch mal in ihre alte Wohnung zurückgegangen?«
»Nein, nie mehr. Und sie wollte über die Jahre, die sie dort verlebt hat, nicht mehr sprechen, und auch wir haben dieses Thema niemals mehr erwähnt.«
»Hatte Mum denn Feinde?«
Gran lachte. »Nein, im Gegenteil. Rebecca hatte ein so sonniges Wesen.«
Ich brachte nur mühsam ein Lächeln zustande. »Könnte ich vielleicht die frühen Babyfotos von mir sehen?«
Gran holte das Familienalbum nur allzu gern für mich heraus. Ich sah sofort, dass ihre Fotos die gleichen warenwie die von Mum und sich das Speicherfoto nicht darunter befand. Eine geschlagene Stunde – mir wurden schon die Augen glasig – musste ich dasitzen und mir jedes einzelne Mitglied meiner weitläufigen Familie ansehen. Ich entschuldigte mich, dass ich nicht zum Abendessen bleiben konnte, und behauptete, dass Mum mich zu Hause brauchen würde. Als ich Gran zum Abschied küsste, hatte ich noch eine letzte Frage auf dem Herzen.
»Hat Mum, als sie jünger war, mal über merkwürdige Träume oder irgendwelche … na ja … Vorahnungen gesprochen?«
Gran schüttelte bedauernd den Kopf und umarmte mich noch einmal. »Mach’s gut, Katy.«
Da ich während der Hauptverkehrszeit zurück nach Hause fuhr, gab es auch dieses Mal im Zug nur Stehplätze; ganze Horden von Berufspendlern überschwemmten die Abteile und nicht einmal mein Humpeln verhalf mir zu einem Sitzplatz. Wenigstens gelang es mir, neben der Gepäckablage eine Ecke zu ergattern, in die ich mich stellen konnte, und ich merkte, wie mir der Kopf vor lauter ungelösten Fragen schwirrte. Was war damals in Mums heruntergekommenem Haus geschehen? Und warum weigerte sich Mum, darüber zu sprechen? Es musste etwas so Entsetzliches gewesen sein, dass sie lieber ihr Zuhause verlassen hatte, anstatt sich damit auseinanderzusetzen. Und es musste mit Genevieve zu tun gehabt haben.
Kapitel 30
E s verging wohl eine Woche, bis das Geraune begann – wie ein ständiger leiser Summton trat es auf, fast wie ein weißes Rauschen, das mich überall umgab, wohin ich ging. Es lauerte hinter jeder Ecke, auf den Gängen und selbst in den Gesprächen, die hastig unterbrochen wurden, sobald ich auf der Bildfläche erschien. Obwohl ich mein Doppelleben schon eine ganze Weile praktizierte und mich durch jede Situation mit einem Lächeln manövrierte, begann es mich allmählich zu zermürben. Zufällig belauschte ich auf der Damentoilette zwei Mädchen, die sich darüber unterhielten, dass an der ganzen Sache nur ich selber schuld sei. Doch schuld woran? Was hatte Genevieve jetzt wieder angezettelt? Jede Nervenfaser meines Körpers war bis zum Äußersten gespannt, während ich auf die Enthüllung ihres neuesten Schachzuges wartete.
Und allmählich schienen selbst Nat und Hannah sich von den
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