Besessene
Gerüchten verunsichern zu lassen, was das Fass zum Überlaufen brachte. Ich war kurz davor, die beiden zur Rede zu stellen, als sie plötzlich beschlossen, mich zum Lunch auszuführen. Sie luden mich zu allem ein, einschließlich eines wie auch immer glasierten Desserts meinerWahl, ganz offensichtlich um den Schock, der zu erwarten war, ein wenig abzufedern. Fast taten sie mir leid – für die verstohlenen Blicke, die sie tauschten, für ihr verkrampftes Lächeln, die übertriebenen Umgangsformen –, was immer Genevieve verbrochen haben mochte, es musste wirklich heftig sein.
»Warum rückt ihr nicht endlich mit der Sprache raus?«, sagte ich schließlich. »Langsam macht ihr mich nervös.«
Der Tisch fing an zu wackeln und ich wusste, dass sie sich darunter heimlich gegenseitig anstießen, weil keine der beiden zuerst das Wort ergreifen wollte. »Ich gehe auf der Stelle, wenn ihr mir nicht sagt, was los ist.«
Hannah nickte Nat zu, die heftig blinzelte, ihren ganzen Mut zusammennahm, um sich dann alles von der Seele zu reden.
»Also: Merlin und Genevieve gehen jetzt miteinander und wir wollten einfach nicht, dass es dir irgendwer anders steckt. Aber sie sind erst zusammen, seit du mit Merlin Schluss gemacht hast, und Merlin hat Angst, dass du denkst, es könnte anders sein.«
Ehrlich gesagt wusste ich überhaupt nicht, was ich empfinden sollte; wahrscheinlich kam das Gefühl, als habe mich ein Bus überfahren, meiner Stimmung noch am nächsten. Die ganze Zeit schon hatte ich geahnt, dass diese Situation eintreten, dass Genevieve sie erzwingen würde, ja, dass ich ihr Merlin in die Arme getrieben hatte, doch jetzt, wo ich mit der Realität konfrontiert war, war ich total perplex. Aber das war es nicht allein – als fast genauso schlimm empfand ich, dass alle über mich gesprochen und mich bemitleidet hatten.
»Weiß Merlin etwa, dass ihr mir diese Hiobsbotschaft überbringt?«, fauchte ich.
Die beiden nickten kleinlaut.
»Das ist nicht euer Ernst! Als ob man mich in Watte packen und mir das Ganze schonend beibringen müsste! Was fällt ihm ein, so arrogant zu sein und auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass es mir etwas ausmachen könnte?«
»Heißt das … es macht dir gar nichts aus?«, fragte Hannah zögernd.
»Wieso sollte es? Ich hab ja schließlich unsere Beziehung beendet.«
»Das wissen wir«, rechtfertigte sich Hannah, »aber wir dachten … es sei vielleicht bloß ein kleiner Krach gewesen.«
Ich wandte mich wieder meiner Schokocremetorte mit Eis und Sahne zu, doch sie schmeckte mir jetzt nicht mehr. Ich hatte mich nicht überwinden können, irgendjemandem von der Sache mit dem Bild zu erzählen, und wenn ich meinen Stolz bewahren wollte, musste ich jetzt einfach betonen: »Merlin hat mich angefleht, mich weiter mit ihm zu treffen.«
»Da bin ich aber froh«, sagte Hannah seufzend.
Nat sagte entschuldigend. »Der Punkt ist … du hast uns nie erzählt, was wirklich los war. Erst warst du noch verliebt und wolltest über Nacht mit Merlin wegfahren, dann hattest du Hausarrest, hast meine Party verpasst und danach hast du plötzlich mit Merlin Schluss gemacht.«
»War es die Party?«, fragte Hannah. »Und dass Merlin mit Genevieve getanzt hat?«
Im Grunde taten mir die beiden leid, weil sie so ahnungslos waren. Genevieve machte mir mit ihrem düsteren komplizierten Wesen das Leben zur Hölle und die beiden wussten nichts davon. Für sie gab es nichts als ein paar triviale Teenagerprobleme, doch auf diese Ebene würde ich mich ab jetzt nie mehr einlassen können. Die Begegnung mit Genevieve hatte mich verändert.
»Ich habe mich über das Foto geärgert«, gab ich zu, »aber das war es nicht allein. Irgendetwas hatte sich auf einmal zwischen uns verändert, irgendetwas stimmte nicht mehr. Und ich musste mir einfach selber treu bleiben.«
»Katy, du bist so tapfer«, sagte Hannah überschwänglich. »Dass du so für dich selbst einstehst und dich auf keine Kompromisse einlässt.«
Ich sah, wie Nat rhythmisch mit dem Fuß auf den Boden klopfte, was hieß, das war noch längst nicht alles, was sie zu sagen hatte.
»Genevieve ist die ganze Sache ein bisschen peinlich, Katy … sie hofft so sehr, dass du sie nicht dafür hasst.«
Ich sah nicht mal von meinem Nachtisch hoch. »Sie hassen?«
»Sie macht sich Sorgen, dass es … ein bisschen überstürzt aussehen könnte.«
»Meinetwegen kann Merlin rummachen, mit wem er will.«
Nats Stimme klang so
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