Besser schreiben für Dummies (German Edition)
spielen eine Rolle. Wenn Herr Bitz seinem Leser schon einmal sehr geholfen hat, wird dieser seine Texte wohlwollend lesen. Wenn Frau Prell als notorische Querulantin verschrien ist, wird der Leser auf Abwehr schalten. Der Leser bringt alles, was er über den Autor weiß oder auch nur vermutet, in den Text ein.
Aufgabe des Autors ist es, den Erwartungen des Lesers Rechnung zu tragen, so weit es eben geht. Er macht seine jeweilige Funktion klar, damit es nicht zu Missverständnissen kommt, und er hält sich an das, was diese Funktion erlaubt. Schwierig wird es bei negativen Voreinstellungen. Mit denen haben etwa die Mitarbeiter in Behörden zu tun. Sie können den Vorurteilen ihrer Leser begegnen, indem sie das Behördendeutsch meiden und stattdessen einen umgänglichen Ton pflegen.
Die Erwartungen des Lesers sind auf jeden Fall anzuerkennen, ob sie einem passen oder nicht. Sachlich begründete Erwartungen sind zu erfüllen; positiv wertende Erwartungen sind zu bestärken; negativ wertende Erwartungen sind zu entkräften.
Erst der Status, dann der Inhalt
Die amerikanische Zeitung Washington Post hat in einem Experiment getestet, wie Wahrnehmung, Geschmack und Werte zusammenspielen. Dazu platzierte sie zur morgendlichen Rushhour einen Musikanten in einer Washingtoner Metro-Passage. Der Mann fing an, auf seiner Geige zu spielen, und erst einmal passierte nichts. Nach drei Minuten blieb ein Passant ein paar Sekunden lang stehen, nach vier Minuten warf eine Frau einen Dollar in den Kasten. In den insgesamt fünfundvierzig Minuten, in denen der Musikant spielte, hielten sechs Personen an, um eine Zeit lang zuzuhören, etwa zwanzig Personen gaben im Vorbeigehen Geld, und über tausend Personen liefen vorbei. Der Geiger kam auf zweiunddreißig Dollar.
Was niemand bemerkt hatte: Der Geiger war nicht irgendeiner, sondern der weltberühmte Violinist Joshua Bell. Er spielte auch nicht irgendetwas, sondern Johann Sebastian Bachs Chaconne in d-Moll. Die spielte er nicht auf irgendeiner Geige, sondern auf einer dreieinhalb Millionen Dollar teuren Stradivari.
Das alles reichte offenbar nicht, um ein Publikum zu fesseln. Die Verkleidung als Straßenmusikant, der zugige Standort und die Hektik des Berufsverkehrs ließen die Passanten erst gar nichts Schönes erwarten. Und weil sie es nicht erwarteten, konnten sie es auch nicht hören. So steuern Erwartungen die Wahrnehmung. Auch beim Lesen.
Wie Autor und Leser zusammenkommen
Manche stellen sich das Schreiben so vor: Der Autor beschäftigt sich mit einem Gegenstand und bringt die Ergebnisse zu Papier. Dann kommt der Leser daher und holt sich die Ergebnisse ab. Demnach treten Autor und Leser nacheinander auf; sie kommen gar nicht zusammen. Selbstverständlich lässt sich auch diese Vorstellung umsetzen, doch ein Rezept für verlässlich gute Texte ist sie nicht. Die erzielen Sie eher, indem Sie mit dem Leser zusammenkommen, und zwar so früh wie möglich.
Der Besuch beim Leser
Beim Schreiben ist es eine klare Sache, wer wem was schuldet. Der Autor will etwas vom Leser. Er will, dass er den Text liest (was ja lange nicht selbstverständlich ist) und in einer bestimmten Weise reagiert. Also nimmt der Autor alle Mühen auf sich und begibt sich zum Leser.
Schreiben ist eine Bringschuld.
Der Autor geht zum Leser, bevor er anfängt zu schreiben. Er versetzt sich in die Position des Lesers, spürt, wie er tickt, und sieht aus dieser Sicht in die Welt. Das ist die Perspektive, aus der er schreibt.
Für den Leser hat diese Schreibperspektive den Vorteil, dass der Text ihm beim Lesen vertraut vorkommt. Er enthält nichts Fremdes, was ihn ängstigen oder überfordern würde. Der Leser kann den Text ohne Einschränkung annehmen. Er kann sich sogar vorstellen, er hätte genauso geschrieben. »Das hätte von mir stammen können«, ist eines der größten Komplimente, das Sie als Autor vom Leser kriegen können.
Dennoch unterliegen Sie als Autor einer Einschränkung: So sehr Sie sich auch in die Rolle des Lesers einfinden, so wenig sind Sie legitimiert, dessen Fehler zu übernehmen. Auch wenn Sie vom Leser wissen, dass er mehr schlecht als recht schreibt, so gilt doch für Ihr eigenes Schreiben immer der höchste Anspruch. Umso schöner ist es ja für den Leser zu denken, er hätte es ganz genauso gemacht.
Auch wenn Sie aus der Perspektive des Lesers schreiben, sind die Qualitätsansprüche immer Ihre eigenen.
Das Verwöhnpaket
Der Autor will es dem Leser schön machen, und
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