Besser so als anders
übers Knie reichte und wie ein Sack an ihr herabhing. Obwohl es warm draußen war, trug sie schwarze Strumpfhosen.
Sein Blick fiel wieder auf ihre Tasche. Er beäugte das Taschenbuch, das dort herauslugte. Er konnte den Titel nicht lesen, doch anhand der Aufmachung erkannte er, dass es sich um einen Liebesroman handeln musste. Seine Exfrau Rachel las solche Bücher. Die Schrift war verschnörkelt und rosa.
»Sie haben Lektüre dabei?«, fragte Joe, während sie mit mindestens einem halben Meter Abstand zwischen sich zur Lobby gingen. »Werden Sie während der Hochzeit meiner Nichte etwa lesen?«
»Bee würde nichts anderes von mir erwarten«, sagte Vicki, und ein zartes Lächeln huschte über ihre Lippen. »Ich werde aber versuchen, es wenigstens während des Ehegelübdes nicht zu tun.«
Joe lachte, vielleicht ein wenig zu laut, dachte er. Er hielt sich ein paar Schritte hinter ihr und unterdrückte das Verlangen, zu ihr aufzuschließen und den Arm um sie zu legen.
Sie sah nicht wie die richtige Vicki aus, jedenfalls nicht ihr Gesicht, doch irgendwas an ihrem bedrückten Ausdruck war ähnlich – ein melancholisches, weltfremdes Schmollen, das seine Fantasie beflügelte. Die Vicki in Reno und die Vicki in Maryland hatten auch einen ähnlichen Körperbau: Beide waren zierlich und elfenhaft. Unter dem sackartigen Kleid konnte Joe Vickis schmale Figur und ihre kleinen Brüste ausmachen. Sie schien nicht besonders sportlich zu sein, sondern war einfach nur natürlich schlank – vermutlich war sie ein Mädchen, das zum Frühstück süße Hörnchen aß und beim Mittagessen rauchte.
Joes Freundin Sarah, die in Vegas auf ihn wartete, wie ihm plötzlich wieder einfiel, war das genaue Gegenteil. Sie trainierte ständig, joggte quasi pausenlos. Joe nahm Sarah das ständige Training für ihre Halbmarathons langsam übel. Er hasste die Tatsache, dass sie in letzter Zeit fast jeden Sonntagmorgen mit einem ihrer Sportlerfreunde ausgedehnt joggte und dafür um fünf Uhr morgens aufstand, um auf den bereits heißen Straßen Nevadas ihr militärähnliches Trainingsprogramm zu absolvieren. Ihre diesbezügliche Disziplin erinnerte ihn an Bees Mutter Donna.
Joe beäugte Vicki aus dem Augenwinkel, als sie Seite an Seite zur Lobby gingen. Ihre Schultern waren angespannt, ihre Haltung wirkte steif. Sie warf einen Blick auf die Seefahrtsbilder an den Wänden und seufzte, um das peinliche Schweigen zu überbrücken.
Als sie den Eingang erreichten, sah er, wie sie erneut in ihrer Tasche kramte, doch diesmal fischte sie die Autoschlüssel heraus. Joe hüstelte kurz, um sie daran zu erinnern, dass er auch noch da war, dann sagte er zögernd:
»Wollen Sie mit mir rüberfahren? Schließlich gehen wir auf dieselbe Veranstaltung. Es mach mir nichts aus, Sie mitzunehmen.«
Vicki blieb vor der Eingangstür stehen und wandte sich zu ihm um. Mit der einen Hand umklammerte sie die Schlüssel. »Danke«, sagte sie und machte einen Schritt in die Sonne hinaus. »Aber vielleicht möchte ich ja schon früher gehen. Außerdem nehme ich auf der Rückfahrt meine Freundin, eine der Brautjungfern, im Auto mit.«
»Ich gehe dann, wenn Sie gehen wollen«, sagte Joe fast zu flehentlich. »Sie wollen doch nicht spätabends allein durch Annapolis fahren, vor allem nicht, wenn Sie etwas getrunken haben? Es wird hier ziemlich dunkel, sobald Sie die Kopfsteinstraße verlassen. Ich werde nüchtern bleiben, kann Sie also jederzeit zum Hotel zurückbringen.« Er redete zu viel in zu kurzer Zeit. Er war einfach zu verzweifelt.
Vicki hielt weiter die Autoschlüssel umklammert, sah zur Glastür und überlegte. Sie ließ ihren Blick zur Decke wandern und biss sich auf die Lippe.
»Im Ernst«, fuhr Joe fort. »Das ist doch kein großes Ding. Wenn Sie und Ihre Freundin gehen wollen, dann gehen wir einfach.«
Vicki zuckte die Achseln und neigte den Kopf. »Ich nehme an, das geht in Ordnung«, sagte sie in seine Richtung, ohne Blickkontakt mit ihm aufzunehmen. »Ich kann ja sonst immer noch ein Taxi rufen.«
»Schön«, sagte Joe, grinste und schob sie mit beiden Händen zur Tür. »Dann nach Ihnen.«
Sie folgte ihm zu einem grauen Wagen, der unten an der Straße auf dem kleinen Parkplatz des Hotels stand. Er drückte fest auf den Entsperrknopf an der Schlüsselkette, doch nichts war zu hören. Sie zogen beide auf ihrer Seite am Türgriff, doch der Wagen ging nicht auf.
»Das ist offensichtlich nicht Ihr Auto«, sagte Vicki und sah ihn vorwurfsvoll an.
»Mist.
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