Besser so als anders
Notiz nahmen. Doch vor Ende der Trauung würden sie einander nicht begegnen, erst nach der Feier würde Tom an Hannahs Zimmertür klopfen und sie um Vergebung bitten. Dann würde er alles zurücknehmen, was er in jener Nacht vor seinem Auszug zu ihr gesagt hatte, unter anderem auch, dass sie sich nicht zur Ehefrau eigne. Er würde eingestehen, dass es ein Fehler gewesen war, New York zu verlassen, und ihr beichten, dass er nicht mehr glaube, unbedingt in Boston in der Nähe seiner Familie wohnen zu müssen. Er würde sagen, dass New England allzu engstirnig und puritanisch sei und er es vermisse, mit Hannah in schicken Restaurants im East Village zu essen, um danach eine der Off-Broadway-Produktionen zu besuchen, in denen ihre Schauspielerfreunde auftraten, obwohl Tom sich, als sie noch zusammengewohnt hatten, immer über solche Abende beschwert hatte. Tom würde sagen, dass die schlimmste Nacht ihres Lebens – nämlich die, als er sie verließ – zugleich auch die schlimmste Nacht seines Lebens gewesen sei. Er würde ihr gestehen, dass ihm, gleich nachdem seine Schwester ihn und seine Sachen mit dem Auto abgeholt und nach Norden gebracht hatte, bewusst geworden sei, dass er seine größte Stütze, seine beste Freundin verloren hatte. Er würde Hannah sagen, dass er jeden Tag und vor allem nachts vor dem Einschlafen an sie denke.
In Hannahs Kopfkinovorstellung wurde Tom von Paul Rudd gespielt. Paul Rudd war zwar um ungefähr zehn Jahre älter als Tom, doch er wirkte immer noch jung genug für die Rolle eines Mannes unter dreißig. Außerdem würde er allen Frauen in Hannahs Alter gefallen, die Fans von Clueless – Was sonst! waren, überlegte sie und schätzte bereits die imaginären Kasseneinnahmen. Nachdem Tom oder Paul Rudd, je nach Hannahs aktueller Fassung, also zu ihrem Zimmer gekommen war, würde er seinen Kopf durch die Tür stecken und ihn dann zur Seite legen, damit sich ihre Lippen besser treffen könnten. Doch Hannah würde ihm die Hand auf die Brust legen und ihn daran hindern.
»Es ist zu spät«, würde sie (oder eventuell Emily Blunt oder Kristen Stewart) mit matter Stimme zu ihm sagen.
»Sag das nicht«, würde Tom (oder Paul Rudd) wimmern.
Wenn Hannah gut drauf war, gelang es ihr, ihre Vision an diesem Punkt zu stoppen, die Szene zu beenden, indem sie ihm die Zimmertür vor dem Gesicht zuknallte. Manchmal erfand sie noch einen neuen Freund, der in ihrem Hotelbett gut sichtbar auf sie wartete. Komischerweise wurde auch er von Paul Rudd gespielt. Ein Detail, das Hannah noch nicht wirklich durchdacht hatte.
Natürlich war Hannah nicht immer gut drauf. Manchmal wollte sie ihre Vision einfach nicht mit der Zurückweisung ihres Freundes aus Collegezeiten beenden. Manchmal stellte sie sich vor, wie sie Tom an der Krawatte packte, durch die Tür zog und auf dem Hotelbett vernaschte, während er stöhnend nach den Kissen grabschte. In diesen Momenten stellte sie sich Tom meistens als ihn selbst vor. Paul Rudd schien ihr nicht der Typ zu sein, der stöhnend nach Kissen grabschte. Hannah fand beide Versionen zufriedenstellend, ob sie Tom nun von sich wies oder mit ihm schlief. Mit diesen Fantasien hatte sie sich das Einschlafen in den vergangenen Monaten ermöglicht, und sie hatten ihr mit Sicherheit auch bei der Diät und dem Sportprogramm in Vorbereitung auf die Hochzeit geholfen.
Natürlich wusste Hannah, dass sie neben der filmreif strahlend schönen Trauzeugin trotz Diät, überteuertem Haarschnitt und Maniküre unscheinbar aussah. Eigentlich war Dawn lediglich die Ehefrau eines Studienfreundes von Bee, doch sie war ein Teil des Kreises, der seit Collegezeiten zu Bees zweiter Familie geworden war.
Jetzt war Bee Anwältin. Und sie war Südstaatlerin. Das stillste, fleißigste Mitglied von Hannahs Clique am Syracuse University College hatte ihr unausgesprochenes Gelöbnis, wie ihr Vater Anwalt zu werden und noch vor ihrem dreißigsten Geburtstag zu heiraten, erfüllt. Bees einzige wirklich überraschende Entscheidung nach dem College war ihr Entschluss gewesen, ausgerechnet Matt zu heiraten, der anders als Bees Familie laut, ungehobelt, wild und emotional war.
Hannahs Freundin hatte sich gleich im ersten Studienjahr an der juristischen Fakultät der University of North Carolina in Matt Fee verliebt. Sie wollte sich auf Nachlassplanung spezialisieren. Er wollte nach dem Staatsexamen Firmenanwalt im Unternehmen seiner Familie werden, das sich mit dem Abbau von Granit befasste. Durch die Heirat mit
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