Bestiarium
hinunter in den Keller, der vollgestopft war mit den Überresten von Jahrhunderten. Im hinteren Teil dieses von Ratten verseuchten Durcheinanders von teilweise verfallenen Mauern, winzigen Kammern und nassem Asbest stießen sie auf die Anzeichen eines im 17. Jahrhundert in die Mauer gebohrten Lochs.
»Da ist es. Sie werden sicher verstehen, dass ich sie nicht begleite«, sagte der Manager.
»Wissen Sie, ob noch jemand anders irgendwann einmal hier herumgeschnüffelt hat?«
»Da war wohl mal ein Musikprofessor. Ich weiß aber nicht, wonach er gesucht hat.«
»Wann?«
»Im letzten Jahr.«
»Hat er irgendetwas gefunden?«
»Keine Ahnung.«
»Wir brauchen nur ein paar Minuten«, sagte Margaret, der ihre Unruhe anzumerken war. Der Filialleiter machte ihnen Platz.
»Lassen Sie sich Zeit.«
»Fang an zu graben, Martin.«
»Was meinst du mit ›graben‹?«
»Genau das, was ich gesagt habe.«
Sie scharrten einige Minuten lang.
Dann hörten sie es. Einen hohlen Klang.
Ein seltsam ausgewaschener Schacht, der offenbar vor Kurzem mit irgendetwas gefüllt gewesen war.
»Was tust du, Margaret?«
Während sie an der dünnen Erdschicht herumkratzte, schickte sie ihm einen Blick, der jede weitere Diskussion unterband.
Und dann war es geschafft. Vor ihnen lag ein Tunnel, der von der Beleuchtung des Kellerraums, in dem der Manager sie sich selbst überlassen hatte, erhellt wurde.
»Margaret, warte hier.«
»Ganz bestimmt nicht.«
Sie gingen zusammen. Suchten die Zahl 4, irgendetwas, um zu rechtfertigen, was mehr und mehr wie ein fruchtloses Unterfangen erschien. Sie konnten sich vorstellen, wie sie dem Manager vorkommen mussten: wie ein leicht verrücktes englisches Ehepaar, und er würde wohl niemals von ihnen denken, sie seien ein hervorragender und unglaublich erfolgreicher Immobilienmakler und eine international renommierte Kunsthistorikerin.
Nichts. Sie suchten zwanzig Minuten lang, kratzten und wischten an allem herum, das auch nur entfernt nach künstlich geschaffenen Konturen aussah. Nichts.
Doch plötzlich: »O Gott!«
Ein kleines Kästchen aus Metall. Versehen mit dem gleichen goldenen Siegel. Und unmöglich zu öffnen.
»Nimm es«, drängte Margaret, die wusste, dass sie zwar nicht das Buch gefunden hatten, denn das Kästchen war kaum größer als eine Zigarettenschachtel, aber immerhin etwas ...
»Ich kann nicht. Es sitzt fest, als wäre es eingemauert.«
Sie fanden einen losen Stein und benutzten ihn als Hammer, mit dem sie ihrem Fund zu Leibe rückten. Normalerweise hätte Margaret sich niemals für eine derart drastische Vorgehensweise entschieden. Aber sie war jetzt wie besessen.
Der Verschluss sprang auf. Martin bog vorsichtig zwei etwa zehn Zentimeter lange Metallplatten auseinander. Sie blickten in das Behältnis.
Eine winzige Papierrolle lag darin. Margaret faltete sie behutsam auseinander und erkannte von Hand geschriebene englische Worte. »›THERE'S MORE!«
»Grab weiter!«, befahl sie.
»Da ist nicht mehr!«, rief Martin. »Als treibe jemand ein übles Spiel mit uns, indem er uns alle möglichen Hinweise liefert, die am Ende nirgendwohin führen. Keine Spur von Vivaldi. Nicht einmal seine Gebeine sind hier.«
»Aber warum reden sie von mehr?«, überlegte Margaret, als hätte sie die Worte ihres Mannes nicht gehört.
»Keine Ahnung. Um zu beweisen, dass Gier zu Leichtgläubigkeit verführt? Um jemanden zum Idioten zu machen?«
Und dann traf es sie wie ein Blitz: die Liste der Signaturen, die Wortsuche für die Nationalbibliothek.
Paradies ... Utopia ... »Utopia!«, rief sie.
Martin musterte sie und war gar nicht erbaut von diesem impulsiven Verhalten, das er von seiner ansonsten zurückhaltenden Partnerin gar nicht kannte. Diese Eigenschaft bei seiner Ehefrau war ihm völlig fremd - eine Obsession, die typisch war für Spielsüchtige oder Kokainkonsumenten. Sie schien allmählich durchzudrehen.
»Utopische Träume, Illusionen. Diese Erklärung trifft wohl am ehesten zu, oder zumindest umgekehrt betrachtet«, fügte Martin hinzu.
»Moment mal, wer hat den Begriff Utopia umgekehrt benutzt?«
»Ich kann dir nicht folgen.«
»Das wäre Erewhon — Nowhere rückwärts buchstabiert. Der Titel des Romans von Samuel Butler. Ein Engländer, der mit seinem Werk eine ehrwürdige Tradition begründet hat.«
»Jetzt stehe ich völlig im Dunkeln.«
»Martin, hast du mir nicht mal erzählt, dass einer deiner Vorfahren in Canterbury begraben wurde?«
»Nichts, was meine Familie
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