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Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Titel: Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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kleinen Reclam-Heftchen, versehen mit zusätzlichen Vermerken zu allen drei Stücken, fand sich wenige Tage später in meinem Büro ein. Nachdem ich die ersten fünf Zeilen des Königsdramas „Richard III.“ in mich hineingewürgt hatte, wurden sämtliche Unterlagen mit dem Vermerk „ALM“ im Ordner für „Interne Angelegenheiten“ abgelegt. „ALM“ stand schon immer für die persönliche und von sonst niemandem zu entziffernde Abkürzung für „Alarm“. Der Ordner für „Interne Angelegenheiten“ beinhaltete eben jene Anfragen und diverse „Stellungnahmen“ verschiedener Personen, die je nach entsprechender Medienpräsenz die Annahme vertraten, ein Kriminalpsychologe könne jedes Problem auf der Welt lösen. Vielleicht war es der Umstand, dass er mich nach Weihnachten noch dreimal anrief. Vielleicht war es die Tatsache, dass ich in der Zwischenzeit erfahren hatte, dass Jochen Herdieckerhoff einer der renommiertesten Dramaturgen und Regisseure im deutschen Sprachraum war. Jedenfalls stellte ich ihm irgendwann einmal die Frage: „Was wollen Sie eigentlich von mir?“, auf die er mir sehr pointiert und klar folgende Antwort gab: „Sie müssen das spielen, Sie gehören auf die Bühne. Ich habe von Ihnen eine Dokumentation gesehen und ich mache Ihnen folgenden Vorschlag. Wir bauen …“ Damit war die Sache vollkommen klar.
    Ich entschuldigte mich kurz, beendete das Telefongespräch und die Unterlagen fanden ihren Weg vom Ordner für „Interne Angelegenheiten“ in jenen zylinderförmigen Behälter, der für all jene Dinge bestimmt ist, die einer endgültigen Erledigung harren. Nicht so Jochen Herdieckerhoff.
    Das Telefon läutete abermals und nunmehr ersuchte er mich nur um wenige Minuten meiner Aufmerksamkeit. Er teilte mir mit, er habe vor, eine Art Minibühne nachzubauen, auf der ich die Handlungsstränge der beiden Stücke „Die Räuber“ von Friedrich Schiller und „Richard III.“ von William Shakespeare in einer Art Readers-Digest-Form nachzuspielen habe. Die Figuren würde er in Form von Playmobil-Figuren, die man adaptiert und anmalt und mit den entsprechenden Merkmalen versieht, nachbauen lassen. Meine Aufgabe sei es nun, die beiden Stücke zu lesen, die Handlungsstränge zu skizzieren, aus den Abläufen und Kommunikationen der einzelnen Protagonisten kriminalpsychologisch interessante Aspekte herauszuholen und mit realen Fällen des 20. und 21. Jahrhunderts zu vergleichen. Und er schloss seine Ausführungen mit einer Frage: „Sind Sie denn überhaupt in der Lage, aus einem vorgefertigten Text die Handlungsstränge und aus diversen Kommunikationsabläufen kriminalpsychologisch interessante Aspekte herauszuholen?“ Ich holte daraufhin zur üblichen Erklärung aus, dass die Kriminalpsychologie niemals Personen, sondern immer nur Entscheidungen zu beurteilen habe und dass wir uns ausschließlich aufgrund des Verhaltens in der Lage sehen würden, Schlussfolgerungen zu ziehen. Personen und Gespräche zu beurteilen, fiele in den Bereich der forensischen Psychologie, der forensischen Psychiatrie, und damit war für mich die Fragestellung und auch der Vorgang im Prinzip eigentlich erledigt, bis auf den Umstand, dass ich erkannt hatte, dass der mir zunächst völlig unbekannte Dramaturg seinerseits zu einem taktisch klugen, manipulativen Manöver ausgeholt hatte.
    Er wollte ja zweifelsohne etwas von mir, sagte aber nicht, dass er etwas wollte, sondern teilte mir lediglich seine Frage mit, ob ich denn in der Lage sei, diesem Ersuchen überhaupt nachzukommen. Der Wurm des Ehrgeizes begann bereits zu nagen. Ich sicherte ihm zunächst nur zu, dass ich das Stück „Die Räuber“ einmal durchlesen würde, um ihn dann in den nächsten Tagen oder Wochen zurückzurufen. Die Unterlagen wanderten zurück vom zylindrischen Behälter mit der Aufschrift „Enderledigungen“ in den Aktenordner für „Interne Angelegenheiten“. Das kleine gelbe Reclam-Heft mit der Aufschrift „Die Räuber“ verschwand in meiner Aktentasche. Natürlich begann ich bereits am selben Tag zu lesen und stellte, mich anklagend, fest, welch Kulturbanause ich eigentlich seit Jahrzehnten war. Ich nützte die darauffolgenden Weihnachtsfeiertage, um mich Zug um Zug in Schiller einzulesen, las „Die Räuber“ einmal, ja, ich las sie sogar ein zweites und ein drittes Mal. Suchte biografische Informationen zu Friedrich Schiller, seiner Jugend, seiner Familie, seinem Werdegang zusammen und fand heraus, dass in diesem fiktiven Stück,

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