Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
Biochemikern, Kriminalpsychologen und Juristen, Zahnspezialisten für die Identifizierung von unbekannten Leichen und forensischen Psychiatern zusammensetzt. Plötzlich diskutierten wir über Schiller und Shakespeare und im Kern ging es um die Frage: Wenn William Shakespeare und Friedrich Schiller die gleichen Fähigkeiten besaßen wie Leute, die wir in den letzten 20, 30 Jahren kennengelernt hatten, die zehn, 20, ja sogar 40 Menschen umgebracht haben, wie etwa Moses Setoli in Südafrika, warum wurde aus dem einen ein Serienmörder und aus dem anderen ein großartiger Literat, der in die Geschichte der Weltliteratur einging?
Plötzlich bekamen alte Fragen, die wir wieder verworfen hatten, neue Bedeutung, wie etwa: „Warum werden Sexualverbrechen ausschließlich von Männern und nicht von Frauen begangen?“ Wir näherten uns abermals dieser Frage über den psychologischen und daher nicht körperlichen Unterschied zwischen Mann und Frau, was die Fragestellung der Sexualität betrifft. Wir hielten fest, dass die Fragestellung der Machtausübung in der Sexualität zwischen Mann und Frau unterschiedlich ist, ebenso die Spitze der sexuellen Leistungsfähigkeit, dass das Verhalten aufgrund sexuellen Missbrauchs in der Kindheit bei Männern und Frauen im Erwachsenenalter anders beobachtet werden kann, aber all diese Fragestellungen legten nur Teilaspekte frei und gaben keine endgültige Antwort.
Die multikausale Betrachtungsweise, das Einbeziehen vieler Ursachen, um im Endeffekt auf eine einzige Wirkung zu kommen, das war uns in all diesen Diskussionen wichtig. Wir versuchten den Punkt der Kommunikation näher herauszuarbeiten und waren uns einig darüber, dass es Katastrophen gab, die man nicht verhindern konnte. Andererseits fiel uns bei der Aufarbeitung der Lebensgeschichte von vielen Tätern, aber auch Täterinnen auf, dass bei familiären Tragödien und Tötungsdelikten die Kommunikation eine entscheidende Rolle spielte. Irgendwann kamen all diese Personen an einen Punkt, wo sie aus Mangel an Fähigkeit und Mangel an Möglichkeit zu einer vernünftigen Kommunikation diese abbrachen, und damit stieg die Eskalation. All diese Biografien zeigten uns auch, dass die Kommunikation ein höchst sensibles Gut ist und dass in einer bestimmten Situation ein Gespräch, in einer besonderen Art und Weise geführt, absolute Eskalation, aber in der gleichen Situation das Gespräch, etwas anders geführt, absolute Deeskalation bedeuten kann. Der Abbruch der Kommunikation ist der Beginn der unausweichlichen Eskalation – dort, wo das Gespräch endet, beginnt die Gewalt. Und hier fand sich wieder ein Anknüpfungspunkt an die Kriminalpsychologie, die sich ja zum Dogma gemacht hatte, dass nicht das Gesagte, sondern das Getane, das Verhalten selbst, einen Menschen auszeichnet.
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Sowohl Schiller als auch Shakespeare haben ja nicht nur etwas gesagt, sondern sie haben auch etwas getan, nämlich diese Stücke geschrieben, obwohl sie die gleichen Fähigkeiten besaßen wie jene Menschen, die hochkomplexe Serienstraftaten begangen haben. Und noch etwas zeigte die Beschäftigung mit diesen beiden Männern der Weltliteratur und die anschließende Diskussion: die Frage nach Schuld und Sühne, die Frage nach der eigenen Einstellung zu Gut oder Böse, die Frage nach der eigenen Fähigkeit, bestimmte Werte zu erkennen. Es ging nicht um materielle Werte, es ging vor allem um den Luxus der Unschuldigkeit.
Wir diskutierten abermals darüber, welche Fähigkeiten jemand sein Eigen nennen muss, um im Bereich der Verhaltensbeurteilung arbeiten zu können, und waren uns sehr rasch darüber einig, dass es im Prinzip drei Dinge sind, die er mitbringen muss. Es erschien uns nicht so wichtig, was jemand dachte, sondern wie er dachte. Die vernetzte Betrachtungsweise, das Herangehen an komplexe Problemstellungen, das Herstellen von Verbindungen, weil das Einordnen von menschlichen Verhaltensweisen eben nicht so einfach ist, als ob wir zehn Schubladen hätten, aus denen wir bestimmte Merkmale entnehmen können. Menschliches Verhalten ist zu komplex, um es in Clustern, Zahlen und reinen Paragrafen festhalten zu können. Wir sehen es immer wieder, dass das Auftauchen eines neuen Verhaltens eine ganze Disziplin in die Knie zwingt, weil sie beispielsweise der Meinung ist, Kannibalismus gäbe es nicht in der heutigen Gesellschaft.
Das Was erschien uns nicht so wichtig, denn jeder Mensch konnte lernen, indem er Bücher wälzte und auf die Universität ging. Aber
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