Bestimmt fuer dich
darauf hin, dass der Andrang vor der Achterbahn gerade nachgelassen hatte, doch Lukas ließ sich nicht beirren. »Ich will hören, was der Kerl zu sagen hat.«
»Warum? Du glaubst doch nicht mal an Horoskope.«
»Aber du glaubst an Bestimmung. Und der große Shandu offensichtlich auch.«
Rosanna zögerte.
»Was ist?« Lukas zwinkerte ihr zu. »Hast du etwa Angst?«
Rosanna verschränkte die Arme. »Ich weiß, was du vorhast. Aber nur weil ein paar Scharlatane Gutgläubige abzocken, glaube ich trotzdem an Dinge, die man nicht erklären kann.«
»Vielleicht kann uns der große Shandu damit weiterhelfen.«
Rosanna sah ihn an. »Was ist, wenn er’s kann? Wäre das nicht ziemlich furchtbar für dich?«
Lukas lächelte nur. »Wollen wir?« Und schon marschierte er auf den Zelteingang zu.
Der große Shandu besaß tatsächlich eine Kristallkugel. Das Innere des Zelts roch zudem nach Räucherstäbchen und war mit so vielen flackernden Kerzen erleuchtet, dass Lukas nun nicht mehr in erster Linie befürchtete, Opfer einer routinierten Abzocke zu wer den, sondern eines sich rapide ausbreitenden Feuers. Zahlreiche Stapel verstaubter Bücher über schwarze Magie boten sich als leicht verfügbarer Brennstoff genauso an wie der schwarze, vermutlich seit Urzeiten nicht mehr gewaschene und daher müffelnde Umhang des großen Shandu. Der war übrigens eher klein, sodass seine Größe entweder in seinem spe ziellen Talent oder seinem persönlichen Wahn begründet liegen mochte. Auch das gemalte Bild sei nes bedrohlichen, verschlagenen Gesichts über dem Zelteingang entsprach nicht oder nicht mehr der Wirklichkeit. Statt über scharf geschnittene Züge zu verfügen, war der große Shandu bereits als Mittdreißiger diätresistent verfettet, und die vielleicht früher einmal imposant wallende schwarze Mähne hatte sich von seinem Kopf komplett verzogen, vielleicht aus Scham, wie Lukas hämisch überlegte.
Zu guter Letzt verströmte auch Shandus Stimme keinerlei tiefen und volltönenden Zauber, sondern hätte mit ihrem hellen, kehligen Klang jedem Besucher des Zeltes sofort die letzte Illusion geraubt, wäre sie nicht regelmäßig heiser geraucht worden – was dem Atem des Mannes unbestreitbar anzuriechen war.
Rosanna tat bereits ihr Hinterteil weh. Der mit Pentagrammen bestickte Teppich, auf dem sie und Lukas vor Shandu und seiner Kristallkugel Platz genommen hatten, war durchgesessen und der Boden darunter kalt und uneben. Am liebsten wäre Rosanna aufgestanden und gegangen, doch Lukas schien entschlossen, den Wahrsager zu Ende anzuhören, auch wenn er ihm kein Wort glauben wollte.
Der große Shandu atmete tief aus, schloss die Augen und breitete seine Handflächen über der Kristallkugel aus. »Ihr Weg hierher war … beschwerlich.«
»Oh ja«, sagte Lukas. »Die Stadt ist gerammelt voll.«
»Nicht der Weg zu mir«, verbesserte der große Shandu. »Der Lebensweg, den Sie beide bis zum heutigen Tag beschritten haben.«
Lukas winkte ab. »Wir klagen alle gern auf hohem Niveau.«
»Dennoch«, beharrte der große Shandu, »dass Sie beide hier sind, grenzt an ein Wunder.«
Lukas lächelte mit gespieltem Mitgefühl. »Läuft nicht so gut für Sie, was?«
Der große Shandu lächelte gutmütig. »Es macht mir nichts aus, dass Sie sich über mich lustig machen. Die wenigsten glauben an meine Kräfte, wenn sie mein Zelt betreten. Aber wenn sie es verlassen«, er machte eine bedeutungsschwangere Pause, »ist nichts mehr, wie es einmal war.«
»Man ist garantiert um ein paar Euro leichter«, sagte Lukas.
»Nicht jeder hat den Mut, seiner Zukunft ins Auge zu sehen«, erwiderte Shandu gleichmütig.
»Wir sind da ganz gelassen.« Lukas griff nach Rosannas Hand, aber sie zog sie weg. Der Geruch der Räucherstäbchen verursachte ihr Kopfschmerzen. Und dass Lukas nur bestätigt haben wollte, was er längst dachte, enttäuschte sie. Die ganze Woche über hatten sie es geschafft, das Thema Schicksal aus ihren Unterhaltungen auszuklammern. Rosanna hatte nicht einmal mehr daran gedacht. Lukas schien es jedoch die ganze Zeit nicht losgelassen zu haben.
Shandu presste seine Handflächen zusammen und schloss wieder die Augen. »Ich sehe«, begann er und ließ sich viel Zeit beim tiefen Ein- und Ausatmen, »dunkle Wolken …«
»Ist bestimmt die Schlechtwetterfront, von der sie in den Nachrichten gesprochen haben.«
Shandu und Rosanna warfen Lukas einen missbilligenden Blick zu.
»Wäre nicht ungewöhnlich für April«, sagte er
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