Beth
dieses wahrlich Heiligen Bodens genügte mir, um mit den Wallfahrern zu fühlen.
Vielleicht wirkte Jerusalem auf mich sogar in ärgerem Maße als auf andere. Weil ich überzeugter sein konnte, daß Jesus Christus tatsächlich unter den Menschen gewesen war. Denn immerhin hatte ich erfahren müssen, daß auch sein Versucher, der Widersacher, keine Ausgeburt religiöser Phantasien war. Schließlich hatte ich ihm einen leiblichen Sohn geboren .
Wieder schauderte ich, nicht vor Ergriffenheit oder ähnlichem diesmal, sondern aus Ekel vor mir selbst. Und um so mehr zog es mich nach Uruk, zum magischen Korridor, wo ich alles, was mir das Leben in dieser Zeit angetan hatte, endlich ablegen und vergessen wollte.
Bis dorthin jedoch lag noch ein weites Wegstück vor mir, und ich konnte nicht anders, als in Jerusalem Rast einzulegen, bevor ich meine Reise fortsetzte. Ich mußte zu Kräften kommen. Meinem Herzenswunsch, endlich heimzukehren, zum Trotz sehnte ich mich doch nach einem halbwegs bequemen Lager, nachdem ich die vergangenen Nächte unter freiem Himmel auf Stein und Moos und mehr wachend denn schlafend zugebracht hatte.
Ein verlorenes Lächeln kräuselte meine Lippen, für einen flüchtigen Moment nur, aber es genügte, um mir noch mehr Aufmerksamkeit inmitten all der Menschen zu verschaffen, als mir ohnedies schon zuteil wurde.
Eine alleinreisende Frau, noch dazu blond und wohl das, was man hübsch nannte (an Komplimenten hatte es mir in all den langen Jahren jedenfalls nie gemangelt), erregte Aufsehen in dieser Zeit, hier wie überall, wo ich auf meiner Reise von Italien aus Station gemacht hatte. Daß ich dennoch weitgehend unbehelligt und in jedem Fall unbeschadet geblieben war, schien mir zu dieser Stunde, da ich Jerusalem gerade erst betreten hatte, noch wie ein kleines Wunder. Den wahren Grund sollte ich erst später erfahren .
Natürlich hätte ich mich meiner Haut zu wehren verstanden, ganz gleich, wie kräftig etwaige Gegner auch gewesen wären. Ich hätte sie zu Greisen gemacht, noch ehe sie auch nur im Ansatz begriffen hätten, wie ihnen geschah!
Aber dazu hatte es nicht kommen müssen, worüber ich letztlich doch froh war. Weil ich anderen nicht länger zu meinem Vorteil schaden wollte. Es bestand auch keine Veranlassung mehr dazu; ich brauchte mein Leben nicht mehr künstlich zu strecken, indem ich anderen ihre Zeit stahl - stand ich doch im Begriff, es selbst zu beenden .
Dennoch, die Verlockung, es zu tun, war bisweilen gewaltig und kaum widerstehlich. Und zugegeben, das eine oder andere Mal hatte ich mein verfluchtes Talent doch genutzt auf meinem Weg, wenn auch nicht zu dem Zwecke, meine eigene Zeit zu verlängern. Ich hatte den Betroffenen lediglich kleine Kostproben dessen offeriert, was geschehen konnte, wenn sie mir verweigerten, wonach ich verlangte: In der Nähe von Athen, so entsinne ich mich, habe ich einem reisenden Händler die Hand eines alten Mannes »angehext«, als er mir die paar Münzen für eine warme Mahlzeit nicht geben wollte, um die ich ihn bat; und in Damaskus wird ein junges Mädchen mit engelsgleichem Gesicht heute noch jedem Burschen Entsetzen einjagen, sobald er ihrer dürren, faltigen Schenkel ansichtig wird. Das dumme Ding hätte mir besser ohne Widerspruch und übelste Beleidigungen ein Quartier zur Nacht gerichtet ...
Es war, als hätte der Gedanke an jenes Nachtlager in Damaskus (das weichste, komfortabelste übrigens, in dem ich während meiner ganzen Reise geruht habe) gereicht, mich meiner Erschöpfung zu erinnern. Meine Lider schienen mir mit einemmal bleischwer, ebenso meine Beine und Füße. Aus müden Augen hielt ich Ausschau nach einer Herberge, in der ich unterkommen konnte - und fühlte mich sogleich um einiges munterer, als ich gewahr wurde, daß ich ganz offenbar in ein weniger belebtes Viertel der Stadt abgetrieben worden war! Ich hatte mich ganz meinen Gedanken hingegeben und vom Strom der Menschen tragen lassen, und als hätte es sich um einen wirklichen Strom gehandelt, hatten seine Ausläufer mich an den Gestaden angespült wie Treibgut.
Augenblicklich fühlte ich mich weniger wohl in meiner Haut. Die Lehmbauten zu beiden Seiten warfen tiefe Schatten, die enge Gasse lag in wattigem Halbdunkel, mein Blick reichte kaum bis zur nächsten Ecke, zudem schon die Dämmerung über Jerusalems Mauern kroch.
Keine Menschenseele war auszumachen, was bei den Sichtverhältnissen nicht gleichbedeutend damit sein mußte, daß niemand in der Nähe gewesen
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