Beth
waren, um sich fortan der Weltlichkeit zu widmen, wo sich mit den Pilgern klingende Münze verdienen ließ.
Im Grunde war es mir gleich, ich wollte nur eines - schlafen nämlich; nachdem ich etwas gegessen hatte. Deshalb saß ich nun inmitten des besagten Saales unter einem, wie ich schätzte, knappen Hundert Leute, die hier ebenfalls Unterkunft gefunden hatten. Hätte ich mir den Bau nur von draußen besehen, würde ich nicht geglaubt haben, daß so viele Menschen darin einen Schlafplatz finden konnten. Als ich aber eine Weile durch die Gänge spaziert war, hatte ich mich von der verwinkelten und somit raumnutzenden Bauweise überzeugen können, so daß ich nun der Meinung war, daß die Herberge mit dieser Anzahl von Gästen noch nicht einmal zur Gänze ausgebucht war.
»Wo kommt Ihr her?«
Fast erschrocken wandte ich das Gesicht zur Seite und sah in ein Paar blauer Augen, die selbst im Schatten sandfarbener Locken noch strahlten. Der schmale Mund darunter verzog sich zu einem jungenhaften Lächeln.
»Verzeiht meine Neugier«, fuhr der Fremde fort. »Sprecht Ihr denn überhaupt meine Sprache?«
Ich nickte, sein Lächeln erwidernd. Das Französische verstand und sprach ich fließend.
»Ich komme -«, begann ich, und gerade noch gelang es mir, die Wahrheit hinter meinen Lippen zu halten. »- aus Italien. In der Nähe von Rom war ich ...«, wieder zögerte ich und beendete den Satz dann anders, als ich es vorgehabt hatte: ». habe ich gelebt.« Denn zu Hause war ich im Monte Cargano nie gewesen.
»Und was führt Euch nach Jerusalem?« fragte der andere munter weiter. Dankend nickte er nebenher dem Kuttenträger zu, der ihm wie mir einen hölzernen Napf mit Hirsebrei auf den Tisch stellte und einen Kanten Brot dazulegte.
»Was jeden Pilger ins Heilige Land führt«, erwiderte ich und nahm schon den ersten Löffel meiner Mahlzeit.
»Ihr habt lange nichts gegessen, hm?« bemerkte mein Banknachbar mit spitzbübischem Grinsen.
Ich nickte kauend. »Schon eine Weile her, in der Tat.«
»Warum nehmt Ihr solche Strapazen auf Euch, um nach Jerusalem zu gelangen?«
»Vielleicht nur, um zu erfahren, ob die Strapazen sich gelohnt haben.«
»Und? Haben sie sich gelohnt?«
»Kann ich noch nicht sagen.« Ich wollte das Geplauder nicht in diese Richtung weiterlaufen lassen, weil ich keine Lust hatte, mich in Allgemeinplätze zu flüchten oder gar in Widersprüche zu verstricken. Immerhin log ich streng genommen schon mit jedem Wort.
»Ihr seid ein neugieriger Bursche«, tadelte ich ihn milde, während auch er zu essen begann. »Dabei habt Ihr mir noch nicht einmal Euren Namen genannt, geschweige denn, was Ihr in Jerusalem treibt. Ihr scheint mir kein Pilger zu sein, wenn ich nach Euren Fragen schließen kann.«
In gespielter Betroffenheit ließ er den Löffel sinken. »Verzeiht meine Unhöflichkeit. Ich heiße Pascal.«
»Nur Pascal?«
Er nickte. »Den Namen meiner Familie führe ich nicht mehr. Sie ist Vergangenheit.«
»Es tut mir leid, ich wollte nicht -«, begann ich, doch er unterbrach mich lächelnd.
»Das konntet Ihr nicht wissen, und es ist überdies nicht so, wie Ihr vielleicht meinen mögt. Nicht meine Familie hat mich verstoßen, sondern ich habe sie verlassen - weil ich Jerusalem fand.«
»Das verstehe ich in der Tat nicht«, gab ich zu. Seine Worte verwirrten mich. Und schürten zugleich meine Neugier.
»Einst kam auch ich als Pilger ins Heilige Land«, erklärte Pascal. »Doch anders als die allermeisten kehrte ich nicht wieder heim -weil ich in Jerusalem etwas fand, das sich mir an keinem anderen Ort der Welt geboten hätte.«
»Und worum handelt es sich dabei?« fragte ich, als er nicht weitersprach, sondern nur geheimnisvoll und eigentümlich glückselig lächelte.
»Das läßt sich nicht in Worte kleiden«, sagte er dann, »nicht in solche wenigstens, die andere verstehen könnten. Was dieses Besondere Jerusalems ausmacht, das muß schon jeder für sich selbst herausfinden. Mir jedenfalls ist diese Stadt mehr als nur zur Heimat geworden - sie ist für mich der Ort, an dem wahrer Sinn mein Leben erfüllt und .«
Er hielt inne, und sein Blick ließ mich erkennen, daß er meinte, schon zuviel über sich erzählt und von seinen Beweggründen verraten zu haben.
»Sprecht ruhig weiter«, ermunterte ich ihn. »Es interessiert mich, was Ihr zu sagen habt.«
Er schüttelte den Kopf, hastig fast, und widmete sich wieder konzentriert seinem Mahl. Beinahe schien es mir, als wolle er sich mit dem faden
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