Beth
Hand wurde fleckig, spannte sich in der einen Sekunde wie altes Leder, in der nächsten wie Pergament über die Knochen. Seine Finger wurden dürr wie Spinnenbeine, doch ungleich kraftloser . Den Dolch zu fassen oder gar zu ziehen war ihnen längst unmöglich.
Der Verfall schritt fort, wanderte über sein Handgelenk zum Un-terarm und höher. Seine Haut welkte, das Fleisch darunter dörrte, Elle und Speiche wurden spröde wie Glas.
Vor Entsetzen bleich im Gesicht verfolgte der längst Graubärtige mit schreckensstarrem Blick, was die rasende Zeit ihm antat.
Als der Alterungsprozeß schließlich seine Schulter erfaßt hatte, stoppte ich ihn. Nicht, weil ich Gnade lassen wollte - oder doch?
Ich setzte mein Talent an anderer Stelle seines Körpers von neuem an, tief in ihm. Er mußte glauben, eine knöcherne Faust würde sich um sein Herz schließen. Dabei war es doch nur ich, die es ihm gleichsam austrocknete, bis es in seiner Brust zu Staub zerfiel im Versuch, einen allerletzten und doch schon unmöglichen Schlag zu tun .
Der Fremde - ganz bewußt hatte ich mir seinen Namen nicht nennen lassen, denn zu wissen, mit wem man es zu tun hat, hatte es nie leichter gemacht - starb mit staunender Miene. Und gewiß in höherem Alter, als er es ob seines schurkischen Lebenswandels auf natürlichem Wege wohl je erreicht hätte .
Ich wandte mich seinen drei Kumpanen zu. Sie waren nähergetreten, ohne mir jedoch wirklich nahezukommen. Trotzdem las ich in ihren Zügen, daß sie den Tod ihres Anführers nicht ungesühnt lassen wollten!
Schon hielten sie ihre Waffen - einen kurzen Säbel der eine, schartige Dolche die anderen - in den Händen und kamen mit zwar angstvollen, aber doch zu allem entschlossenen Blicken auf mich zu, umkreisten mich mit der Geschmeidigkeit angriffslustiger Raubtiere.
Ich griff nach dem Nächststehenden -
- und ließ es sein.
Weil sie in eben diesem Augenblick alle Wut und Entschlossenheit verloren, ganz so, als sei ihnen beides wie aus heiterem Himmel vergangen.
Ohne jedes weitere Wort steckten sie ihre Waffen weg, wandten sich ab - und gingen davon, verschwanden einfach. Ihre Schritte verklangen. Völlige Stille umfing mich, gespenstisch und lähmend.
Was, fragte ich mich, war nur in sie gefahren? Ich hatte doch nichts getan, was sie so abrupt von ihrem Vorhaben, mich zu töten, hätte abbringen können - noch nichts ...
Ich verstand, wie man so sagt, die Welt nicht mehr. Aber ich kam mit mir überein, nicht weiter darüber nachzudenken, sondern die glückliche Fügung schlicht hinzunehmen. Denn alles Nachsinnen hätte zu keinem Ergebnis geführt.
Und war mir während meiner Reise nicht schon Ähnliches widerfahren? Nicht in solch dramatischer Situation zwar - aber hatte sich das Blatt nicht manches Mal unerwartet und ohne mein echtes Zutun zu meinen Gunsten gewendet?
Vielleicht, dachte ich damals, hat sich das Glück dieser Welt ja endlich meiner besonnen? Und mit leisem Lächeln fügte ich halblaut hinzu: »Zu spät - ich verlasse dich trotzdem!«
Ich wandte mich um und ging zurück in jene Richtung, aus der ich gekommen war.
Wieder fühlte ich mich aus dem Geheimen heraus beobachtet - - aber nicht bedroht.
Nur behütet .
*
In Jerusalem eine Herberge zu finden erwies sich als einfaches Unterfangen. Die Hiesigen nutzten die Pilgerströme zu ihren privaten Gunsten und boten Unterkünfte in jedweder Preisklasse an.
Ich bezog notgedrungen ein kostengünstiges Quartier, das unweit der Klagemauer lag. Aber ich stellte ohnedies keine allzu hohen Ansprüche. Ein Bett und eine Waschgelegenheit genügten mir, und beides fand ich hier vor.
Ich vermutete, daß es sich bei dem Gebäude, in dem ich mich ein-gemietet hatte, um ein ehemaliges Kloster handelte, oder zumindest etwas in dieser Art. Schließlich gründeten sich in Jerusalem beinahe schon regelmäßig irgendwelche neuen Orden und Glaubensgemeinschaften und wurden bisweilen ebenso rasch wieder aufgelöst, so daß mein Schluß durchaus naheliegend schien. Zumal die Kammern, die man Reisenden hier anbot, klein und spartanisch eingerichtet waren und sich entlang dunkler Flure aus grob behauenen Steinen reihten, ganz so wie in einem Kloster eben.
Die kargen Mahlzeiten wurden in einem weitläufigen Saal eingenommen, der mit langen Holzbänken und ebensolchen Tischen bestückt war. Und die Betreiber dieser Herberge ließen mich in ihrem Auftreten und ihrer Wortkargheit an Betbrüder denken, die möglicherweise von ihrem Glauben abgefallen
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