Beth
»Überleg es dir. Ich frage dich noch einmal, wenn die anderen eingetroffen sind.«
»Ich brauche nicht zu überlegen! Mein Entschluß steht fest.«
Der Albino lächelte nachsichtig.
Loth faßte Elisabeth am Arm und dirigierte sie zu der Tür, durch die sie gekommen waren. Schweigend leitete er sie zu ihrer Zelle zurück.
»Du bist fast wie wir«, sagte er, als sie davor angekommen waren. »Warum verhältst du dich so feindselig?«
»Weil wir Feinde sind!«
Er schüttelte den Kopf. »Feinde würden dir nicht anbieten, was wir dir schenken wollen.«
»Was sollte das sein?«
»Sieh es dir an. Da drinnen wartet es.«
Er zeigte auf die Tür, trat selbst einen Schritt vor und öffnete sie für Elisabeth, die sich einen Ruck gab und ohne bestimmte Erwartung eintrat.
Daß sich die Tür hinter ihr wieder schloß und ein Riegel vorgeschoben wurde, registrierte sie schon nicht mehr.
Der junge Mann, der auf dem Strohlager Platz genommen hatte, sah verwirrt und fassungslos zu ihr auf .
... so fassungslos, wie sie selbst war.
»Tobias ...?« rann es über ihre Lippen.
*
Ein jugendlicher, noch nicht - wie in den späten, gemeinsamen Jahren - oft in sich gekehrter, jeden seiner Schritt abwägender Tobias Stifter saß dort im Stroh und wirkte ebenso überrascht, freudig überrascht wie die Eintretende! »Tobias ...«, wiederholte Elisabeth. Sie wollte, aber sie konnte sich nicht bremsen. Ungestüm eilte sie auf ihn zu und zog ihn an den Armen, die er ihr bereitwillig entgegenstreckte, in den Stand.
»Lisabeth!«
Nur er hatte sie so gerufen, in der harten Sprache seiner Geburt, nur er!
»Wie kommst du hierher?« Der Grat zwischen Freude und Entsetzen war so schmal, daß sie nicht glaubte, ihn beschreiten zu können, ohne abzustürzen.
Aber er schien den dunkel vibrierenden, unheilschwangeren Ton in ihrer Stimme nicht zu bemerken.
»Ich - weiß es nicht. Eben war ich noch im Kloster. Wir haben miteinander gesprochen, draußen im Hof ... Aber nun ...?«
»Wir waren zusammen?«
»Natürlich waren wir zusammen!«
Sie konnte die Augen nicht von seiner strahlenden Jugend wenden. Wie lange das her war - und wie anders die Hülle damals ausgesehen hatte, als sie vom prasselnden Feuer des Scheiterhaufens im Innenhof des Monte Cargano vertilgt worden war .
Sie konnte es ihm nicht sagen.
Was hätte sie auch sagen sollen?
Seine Worte mochten es suggerieren, aber es war unmöglich, daß die Albinos Tobias - den echten Tobias Stifter - aus der Vergangenheit hierher geholt hatten.
Es mußte eine Illusion sein. Eine - Täuschung!
Genug! dachte sie. Es reicht! Sie schloß die Augen, zählte bis zehn und öffnete sie wieder.
Tobias war immer noch da. Natürlich. Sie fühlte ihn ja auch; die ganze Zeit hatten sie einander nicht mehr losgelassen!
»So eine Teufelei kann sich nur die Brut des Teufels ausdenken!« flüsterte Elisabeth gepreßt.
»Was meinst du?«
»Nichts. Gar nichts.« Sie suchte seine Augen.
Es waren seine Augen. Es war der Ausdruck darin, in den sie sich verliebt hatte - immer wieder verlieben würde .
Aufhören!
Es hörte nicht auf. Sie wußten genau, was sie taten.
Elisabeth war sicher, daß sie betrogen wurde - aber sie hätte nicht zu sagen vermocht, wie dieser Betrug funktionierte. Der Mann, der seine Hände um ihre schmale Taille gelegt hatte, war aus Fleisch und Blut. Und schlimmer: Es war Tobias' ureigene Art, sie so zu anzufassen, fest und doch zärtlich, fordernd - NEIN! Er ist es nicht!
Sie zuckte zurück.
Sein Blick brach ihr das Herz. »Entschuldige .« Sie trat wieder auf ihn zu. Streichelte sein Gesicht, in dem es kaum ein Fältchen, sein Haar, in dem es keine einzige graue Strähne gab.
»Was hast du? Wo sind wir?«
Ja, wo? Und du - wer bist du?
Der Köder, beantwortete sie sich die Frage selbst. Der Lohn, mit dem sie mich dazu bringen wollen, ihnen gefällig zu sein - ihnen zu helfen, ihren monströsen Plan in die Tat umzusetzen .
Ihr Widerstand schmolz in seiner Nähe.
Sie hatte ihn nicht nur vermißt - ein Teil von ihr war mit ihm gestorben, und nun . nun fühlte sie wieder, wie sie immer gefühlt hatte, wenn sie einander nah gewesen waren.
»Später«, wiegelte sie ab. »Ich erkläre es dir später.«
»Alles ist so - fremd«, sagte er. »Dieses Symbol dort in der Mauer ... Sind wir unter Gnostikern?«
»Ja«, sagte Elisabeth. »Und jetzt sei still.«
»Warum?«
»Weil ich mich zu dir legen möchte. Weil ich an nichts anderes mehr denken kann als daran, dich in mir zu
Weitere Kostenlose Bücher