Beth
Worte verhallten nicht ungehört.
»Wer ich bin?« kam es zurück, auf dieselbe mysteriöse Weise wie zuvor. Und dann, so knapp und doch betont, als würde dieses eine Wort, der Name Antwort auf jede noch offene Frage sein: »Beth .«
Beth MacKinsey, vervollständigte Lilith im Stillen, ganz ohne bewußtes Zutun.
Sie hielt inne, horchte gleichsam in sich hinein. Was rührte Beth MacKinsey in ihr an? Welche Empfindungen löste der Name in ihr aus?
Nichts .
Sie fand nur eine merkwürdige Nüchternheit in sich. Die allerdings genügte, um Lilith zu erschrecken und von neuem frösteln zu lassen!
Sie wußte, was sie mit Beth MacKinsey einmal verbunden hatte; daß sie mehr als nur Freundinnen gewesen waren. Aber sie wußte es eben nur - wie so vieles andere - aus der EWIGEN CHRONIK. Das Buch hatte Lilith nur Wissen vermitteln können. Ohne Details und bar all dessen, was Lilith einst persönlich damit verbunden hatte. Gefühle, Wärme vermochte das in Blut Geschriebene nicht zu transportieren, nicht einmal wachzurufen.
Beth war unleugbar Teil ihrer Vergangenheit, aber eben nur ein Teil. Ein Mosaikstein im Gesamtbild. Einer von vielen ...
Die Aufzeichnungen in der BLUTBIBEL endeten damit, daß Lilith den Dunklen Dom, die Heimstatt der Hüter im Berge Ararat mit ihrem Tun dem Untergang geweiht hatte. Danach, so hatte es darin noch geheißen, war sie nach Kairo aufgebrochen, wo sie von Beth MacKinsey erwartet worden war ...
Aber was war dann geschehen? Was war mit Beth passiert? Wie war sie in den Korridor der Zeit gelangt? Und weshalb war sie gerade jetzt (oder immer noch?) hier? All diese Fragen und eine Unzahl mehr brannten Lilith förmlich auf der Zunge. Aber sie wußte kaum, mit welcher sie beginnen sollte, und so brachte sie nur ein lahmes »Was tust du hier?« zuwege.
»Was ich hier tue?« gab Beth giftig zurück, haßsprühend, kalt und verächtlich. »Ich verrecke! Seit einer Ewigkeit! Bin weder tot noch lebendig, sterbe nur.« Beth' Worte schwammen in Bitternis. Panik färbte ihre Stimme erst im folgenden wieder: »Und wenn er mich bekommt, dann wird er mir noch Schlimmeres antun. Ich weiß, ich spüre es!«
»Beth«, begann Lilith, verwirrt und hilflos, »ich verstehe nicht . Was ist geschehen? Wovon sprichst du? Und wer ist er?« Es war, als sei ein Damm in ihr gebrochen, hinter dem sich ein Meer von Fragen aufgestaut hatte, das sich jetzt über ihre Lippen ergießen wollte.
Beth MacKinseys Erwiderung ließ auf sich warten. Einen winzigen Moment lang dachte Lilith, Beth könnte etwas zugestoßen sein, und zugleich wuchs ihr Zweifel, ob die Freundin aus der Vergangenheit überhaupt dagewesen war - in welcher Form, auf welche Weise auch immer .
Aber dann nahm Lilith etwas wahr - Beth' Gegenwart? Es geschah ohne Worte, allein auf der Ebene bloßen Empfindens. Sie spürte -Beth' Gefühle, teilte ihre Angst. Und fühlte plötzlich eine scheinbar grundlose Erleichterung - - genau in dem Moment, da Beth sich wieder zu Wort meldete.
»Er ist ... nein, nicht verschwunden. Aber er hat sich - zurückgezogen. Er wartet ab, lauert .«
»Beth, von wem sprichst du? Wer um alles in der Welt ist er?«
»Ich weiß es nicht. Kann nicht sehen, seit ...« Sie brach ab.
»Seit wann?« hakte Lilith nach und fügte dann verzweifelt und drängend hinzu: »Was ist geschehen? Rede endlich, Beth!«
»Du stellst dich nicht nur dumm«, erkannte Beth MacKinsey. »Du scheinst tatsächlich nichts zu wissen. Nichts mehr von .«
»Ich habe vieles vergessen«, erklärte Lilith. »Meine Erinnerung wurde mir genommen, mein Leben gestohlen, und es klaffen noch viele Lücken .«
»Mich sollst du nie vergessen«, unterbrach Beth, und ihr Tonfall entsprach ganz dem einer Drohung. Lilith verstand nicht, aus welchem Grund Beth so mit ihr sprach.
»Ich wollte dich nie vergessen, Beth«, erwiderte sie, »glaub mir.«
»Den Teufel werde ich tun!« Einen Augenblick lang schwieg sie betroffen, als hätten ihre eigenen Worte sie erschreckt. Dann fuhr sie fort, leise und leidenschaftlich: »Eines aber tu' ich gern - deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen. Du sollst erfahren und ewig wissen, was du getan hast - was du mir angetan hast! Wie es endete .«
Lilith sah irritiert in die Runde, als hoffe sie, die verlorene und vergessene Freundin doch irgendwo ausfindig machen zu können.
»Beth«, sagte sie zaghaft, »bitte, zeige dich. Ich möchte dich sehen. Und mit dir reden. Was auch geschehen ist, laß uns darüber reden!« Am Schluß
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