Betoerendes Trugbild
eine kurze Besichtigung?“, erkundigte er sich.
„Ich fürchte nicht, das müssen wir dann wohl ein anderes Mal nachholen.“ Es sollte unverbindlich klingen, doch Scott sah das Spiel schon längst als gewonnen an. Er würde sich heute noch wundern.
Sie ließ ihn nach der recht kurzen Fahrt an einer Kreuzung anhalten und stieg aus. Sie bedankte sich und versprach, sich morgen nach ihrem geschäftlichen Termin zu melden. Mit einem Winken wartete sie ab, bis sein Wagen sich entfernt hatte, dann zog sie ihr Handy hervor. Ein Taxi würde sie zu ihrem eigentlichen Termin in einem nahegelegenen Spa bringen. Wenn sie schon einmal in der Schweiz war, sollte sie sich wenigstens ein bisschen entspannen und morgen auf der Cocktailparty glänzen – bevor sie dann mit dem Gemälde in Richtung Norden verschwand. Ein neues Kleid konnte vermutlich auch nicht schaden, wenn Scott sie schon herumzeigen wollte.
Nach einigem Hin und Her hatte sie beschlossen, dass sie die Party guten Gewissens besuchen konnte. Sie würde dafür sorgen, dass sie einigermaßen zu spät erschien und sich einen Überblick verschaffen. Sollte sie jemanden entdecken, der sie erkennen könnte, würde sie einfach sofort verschwinden. Kein Problem.
Sam telefonierte am Nachmittag mit Becky. Der Anruf diente allein Beckys Beruhigung, denn sie machte sich ständig viel zu viele Sorgen. Sam wollte sich gar nicht vorstellen, wie panisch Becky reagieren würde, wenn sie jemals erfahren sollte, dass Sams eigentlicher Job noch sehr viel riskanter war als ihr erfundener.
Sie wartete, bis es unangemessen spät war und wählte Scotts Nummer. Obwohl es schon nach Mitternacht war, hob er sofort ab und klang nicht einmal verschlafen.
„Scott, es tut mir wirklich leid, dass ich Sie spät noch störe.“
„Ihre liebliche Stimme wird mich niemals stören, Samantha“, erwiderte er fröhlich und munter.
„Ich hatte einen grauenvollen Tag, die Verhandlungen haben sich bis in den späten Abend gezogen und dann war kein Taxi zu bekommen. Leider sind keine Vereinbarungen zustande gekommen und das Meeting morgen ist geplatzt. Außerdem muss ich zugeben, dass ich mich langsam an meinem Hotelzimmer satt gesehen habe.“ Sie machte eine wohlplatzierte Pause. „Ich denke, ich werde morgen früh abreisen. Sie finden für Ihre kleine Cocktailparty bestimmt auch einen anderen Anlass, oder?“
„Das können Sie mir nicht antun, ich habe Sie doch gerade erst gefunden, Sam.“ Ein flehender Unterton war zu hören.
„Ich weiß nicht. Meine Laune ist gerade wirklich gesunken und das Scheitern der Verhandlung dazu...“ Sie schwieg.
„Kann ich Sie wenigstens noch zu einem Frühstück überreden?“
„Eigentlich wollte ich den ersten Zug nehmen, die Koffer sind schon gepackt.“ Samantha streckte ihr Bein aus und bewunderte den dunkelroten Nagellack, der seit ein paar Stunden ihre Finger- und Fußnägel schmückte. ,Sinful Sensation‘ – wenn das kein passender Name war.
„Warten Sie kurz, Sam“, bat Scott sie nun. Er legte offenbar die Hand über die Muschel, doch sie konnte deutlich hören, dass er mit einem anderen Mann redete. Für eine Frau war die Stimme viel zu dunkel und markant. „So, ich habe gerade etwas beschlossen: Ich kann nicht auf Sie verzichten. Ich hole Sie morgen früh gegen neun Uhr ab – wenn Sie eh noch gearbeitet hätten, können Sie auch hier am Pool ausspannen und mich mit Ihrer Gegenwart erfreuen. Keine Widerrede. Schlafen Sie gut.“
„In Ordnung“, stimmte Sam zu. „Scott?“
„Ja?“
„Das ist wirklich nett von Ihnen.“ Den letzten Satz hauchte sie etwas mehr als nötig, doch er verfehlte seine Wirkung nicht. Sie konnte Scott förmlich durch die Leitung grinsen hören.
Am nächsten Morgen wurde es für Sam Zeit, die schwereren Geschütze aufzufahren. Die Sonnenbrille wurde dunkler, die Absätze höher und die Shorts kürzer. Die Haare trug sie zum ersten Mal offen. Schließlich wollte sie an ihrer kleinen Lüge vom getrennten Berufs- und Privatleben festhalten.
Als der Portier ihr die Tür aufhielt, stand Scott schon mit seinem Cabrio vor dem Hotel. Mit Genugtuung nahm Samantha zur Kenntnis, dass ihr Anblick ihn begeisterte.
„Wow, Samantha, Sie sehen ja aus wie ein anderer Mensch.“
Sie grinste offen. „Ihnen auch einen guten Morgen. Ich habe doch gesagt, dass ich beruflich und privat trenne – in diesem Aufzug kann ich schlecht zu einem Meeting gehen.“
„Ich glaube, so würden Sie jeden Vertrag abschließen.“
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