Betreutes Trinken
in die Kissen zurück und verschränkt die Arme vor der Brust.
Ich kläre das: »Katja, könntest du vielleicht mal kurz rausgehen? Danke.«
Meine beste Freundin versteht den Wink, streicht mir an der schön werdenden Narbe vorbei und verspricht: »Morgen bring ich dir ein Kopftuch mit. Oder eine Perücke, was du willst.«
Als sie die Tür hinter sich schließt, ziehe ich mich an Gunnar hoch. Das muss ich ihm flüstern: »Ich wollte mir nichts antun. Ich doch nicht.«
Gunnar spricht wieder mit mir, sogar laut: »Wenn du es sagst.«
Ja, wenn ich es sage, dann glaubt er mir nicht. Dafür hat er sich eine Menge gedacht: »Sie weiß es nicht, oder?«
Nein, Katja weiß es nicht. Gunnar wird wütend, noch wütender als ich vor ein paar Minuten. Oder Stunden. »Du hast ihr den ganzen Mist nie erzählt? Sie ist deine beste Freundin. Oh, warte, du hast es niemandem erzählt, oder? Das ist Scheiße, Doris, ganz große Scheiße.«
Sag ich doch. Ich baue nur Mist. Tagein, tagaus. Und habe eine Stirnglatze.
»Was ist mit Vladimir?«
Gunnar schnauft: »Weiß ich nicht. Untergetaucht. In die Kanalisation verschwunden. Wie der Pinguin-Mann.«
Das ist unfair. Vladimir sieht beileibe nicht aus wie Danny DeVito als Oswald Koppelpott. Er ist ja viel größer. Und außerdem hatte er vollkommen recht damit, dass ich betrunken war. Alle waren betrunken. Außer Marie: »Was ist mit Marie? Ist die wieder aufgetaucht?«
Gunnar sieht weg: »Doris, wir erzählen dir das alles, wenn du wieder fit bist, okay? Glaub mir, es ist besser, wenn du das jetzt nicht erfährst.«
Da muss ich ihm widersprechen: »Ich bin schon sehr fit, warte.«
Ich setze mich aufrecht hin und lasse den Oberkörper geschickt auf die Seite fallen. Gunnar fängt mich auf, bevor ich auf dem Boden lande.
»Bleib liegen, ja? Schaffst du das wenigstens?«
Gunnar ist mir nicht mehr böse. Er schlägt mir einen Deal vor: »Pass auf, Doris. Du redest mit Katja. Erzähl ihr alles. Und sie sagt dir, was mit der Kneipe ist, okay? So machen das doch Freundinnen, oder?«
Ich nicke. Autsch.
»Moment, Katja ist die bezaubernde junge Dame, die den Anstand hat, ein Krankenzimmer zu verlassen, wenn die Besuchszeit vorüber ist, richtig?«
Satz und Sieg, Tönnes. Gunnar will sie am liebsten mit ihren Kissen ersticken, aber ich muss sagen: Meine Bettnachbarin hat ein gutes Gespür dafür, wann eine Unterhaltung beendet ist.
»Ich kann morgen schon raus. Holt ihr mich ab?«
»Wir schicken einen Wagen, Madame.« Er küsst mich und ist weg.
Mist, ich hätte ihn fragen sollen, in welchem Krankenhaus ich mich befinde. Die sehen ja alles so gleich aus von innen. In jedem Zimmer liegt eine Frau Tönnes, die jetzt wahrscheinlich eine Arztserie schauen will, um am Morgen die Schwestern darüber zu belehren, wie man Patienten in der Sachsenklinik behandelt. Frau Tönnes überrascht mich erneut – sie entscheidet sich für Desperate Housewives .
Da ich die Augen schließe, sieht Frau Tönnes sich gezwungen, den Kommentar für Sehbehinderte selbst zu übernehmen. »Schöne Häuser haben die da ja, aber so amerikanisch, nicht?«
Ja. Ruhe. Bitte Ruhe jetzt.
Frau Tönnes bietet auch Bonusmaterial und Hintergrundwissen: Sie mag ja die Eva Longoria am liebsten. »Die hat sich ja jetzt auch wieder scheiden lassen, das arme Ding, der hat sie wohl betrogen, schlimm. Macht man doch nicht, tststst.«
Tststst, besser hätte ich es nicht sagen können. Warum fahre ich auf ein parkendes Auto auf? Frau Tönnes, irgendwelche Vorschläge?
»Wenn Sie mich fragen: Das war garantiert kein Unfall, das war doch ein Anschlag!«
Nun halten Sie mal die Luft an, Tönnes, alles Spekulationen. Denken Sie nach:
»… Ach ne, warten Sie, ich habe da neulich gelesen, dass die die Schauspielerin aus der Serie raushaben wollten, weil die mehr Geld gefordert hat. Für was, frage ich mich da immer, die macht das nicht gut. Der gönne ich es ja schon, dass die jetzt vor den Strommast gedengelt ist, das hat se verdient. Das war ja auch ein Biest. Oh, jetzt kommt der Klempner, den mag ich. Den würde ich auch nicht von der Bettkante, also …«
Sie hat sich in den Schlaf gequasselt. Ich mag ja die Lynette am liebsten. Die hatte immer die schönsten Perücken in der Staffel, in der sie ihr Krebs ins Drehbuch geschrieben haben. War das die dritte? Nein. Die vierte. Fünfte …?
Ich muss hier raus. Rein ins Internet. Recherchieren. Morgen.
XXXV
B eim Röntgen bestätigt sich Doktor Wilms’ Ahnung. Nur eine
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