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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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Prellung. Und dafür, dass ich so eine böse Wunde am Kopf habe, bin ich so sortiert oder durcheinander wie eh und je.
    Trotzdem darf ich nicht gehen.
    »Frau Kindermann, abgesehen von dem Versicherungstechnischen, das noch zu regeln ist, meinen Sie nicht, Sie wollen noch ein wenig hierbleiben?«
    Was hat sie nur mit ihrem Lippgloss, die Farbe steht ihr überhaupt nicht.
    »Nein. Warum?«
    Doktor Wilms beendet die Einbalsamierung ihrer schmalen Lippen. Sie schnalzt mit der Zunge: »Sie sollten sich mal Ruhe gönnen und über Ihr Untergewicht nachdenken.«
    Oh nein. Nicht schon wieder: »Ich bin nicht magersüchtig, ich habe …«
    »Bulimie?« Sie schlägt wissend die Lider nieder.
    »Kamelismus«, murmle ich. Vor einer studierten Medizinerin hört sich mein patentiertes Symptom plötzlich lächerlich an. Zu meiner Überraschung ist Doktor Wilms interessiert: »Sie wollen sagen: Sie vergessen zu essen?«
    Trifft es das? Eine Sekunde zu lange nachdenklich geschaut, die Ärztin grätscht hinein: »Weil sie nichts essen können oder nichts essen wollen ?«
    Ich bin immer noch Sozialarbeiterin, Frau Doktor. Erweiterte Küchenpsychologie, die auch nur auf dem alten Spruch meiner Oma gründet: »Nicht-Können wohnt in der Nicht-Wollen-Straße.« Mit dieser Methode habe ich mindestens vierzig Kinder dazu gebracht, mich noch mehr zu hassen als ihre Mathehausaufgaben. Ich will dieses Gespräch beenden: »Mir geht es gut. Sie können mir ja Blut abnehmen oder mich an einen Lügendetektor anschließen, was weiß ich.«
    Frau Doktor Wilms spielt mit dem Kugelschreiber in ihrer Hand. Dauernd muss sie mit irgendwelchen stabförmigen Gegenständen rumfummeln. Verdächtig zwanghaft. Sollte mal eine Therapie machen. Jetzt lenkt sie schon wieder von ihren Problemen ab: »Sie arbeiten mit Jugendlichen, nicht?«
    Ich bejahe, aber was soll die Frage? Dr. Wilms guckt mitleidig:
    »Merkt man. Na, dann hauen Sie ab. Schonen Sie sich. Aber bitte vergessen Sie nicht, Ihre Arbeitsstelle zu informieren. Und machen sie einen Termin bei ihrem Hausarzt. Verzichten Sie eine Weile auf Nikotin und Alkohol.«
    Was denn jetzt? Schonen oder sterben? Da ist die Fachfrau überfragt, sie wünscht mir nur noch: »Viel Glück«, bevor sie durch die Tür verschwindet.
    Es geht mir hervorragend. Frau Tönnes ist unterwegs, wahrscheinlich auf Puddingjagd. Es kostet etwas Anstrengung und Zeit, um einarmig in die Jeans zu steigen, aber ich schaffe es. Ich schaffe auch die Schuhe. Das T-Shirt ist weg. Jacke lässig über die Schulter geworfen, raus aus diesem Gefängnis. Meine alte Gang von damals wird mich vor dem Hauptportal erwarten, in der Nobelkarosse, Champagnerkorken werden knallen. In wenigen Sekunden.
    Sie sind nicht da. Wollen mir also die Zeit geben, um eine zu rauchen und dabei entschlossen in die Morgensonne zu stieren. Ist auch eine gern genommene Variante. Oder sie finden keinen Parkplatz. Oder sie haben mich vergessen.
    »Darüber lacht man nicht, Paul«, weist eine Mutter ihren Sohnemann zurecht, der kichernd auf meine Teilglatze zeigt. Ich kann nicht den Bus nach Hause nehmen. Der ist voller unbeaufsichtigter Kinder zu dieser Zeit. Außerdem habe ich kein Kleingeld.
    Endlich fährt der Wagen vor: »Tut mir leid, Doki. War viel Verkehr«, winkt Katja mich zu sich, und ich steige ein. Fahr los, Baby! Muss ich das erst laut aussprechen? Offenbar: »Warum fährst du nicht?«
    Katja räuspert sich: »Wir könnten einen Kaffee trinken gehen. Oder so.«
    Könnten wir. Aber das ganze Bestellen, trinken, Kekse mümmeln und Milchschaum beurteilen würde uns doch zu sehr ablenken, deswegen entscheide ich mich für »oder so«. Ich muss nur die richtigen Fragen stellen: »Warum warst du gestern so ätzend zu Marie?«
    Katja schaut ihre Hände an, zählt die Ringe oder die Finger, was weiß ich. Ich warte und es lohnt sich: »Marie ist wieder mit Raffi zusammen.«
    Wie schön! Also schön. Aber wie?
    »Doki, Raffi ist gar nicht in irgendeiner Klinik. Der ist in Portugal bei seinem Vater. Und Marie will da auch hin. Ist wahrscheinlich schon unterwegs. Also, ich habe zufällig herausgefunden, dass Raffi echte Probleme hat, so psychisch. Und seine Therapeutin hat ihm geraten, sich mit seinem Vater auszusöhnen, solange es noch geht.«
    Wie findet man solche Dinge zufällig heraus?
    »Du hast seine Sachen durchwühlt, ja?«
    Ich finde das ungeheuerlich. Wie kann man so etwas tun? Was Raffi und Marie getan haben, ist noch viel unglaublicher, aber die sind jetzt

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