Betreutes Trinken
mich und weiß gar nicht mehr, was ich denken soll. Und wahrscheinlich spiegelt sich diese Kopfleere in meiner Mimik wider. Ich erwecke Maries Mitleid; sie patscht mir auf den Kopf und murmelt: »Genau deswegen stellen wir dich nicht hinter die Theke, Doki: Du kannst einfach keine Show abziehen, so wie …«
Ein Parfum, dass ich allzu gut kenne, weht an mir vorüber, und die Stimme, die ich mit diesem Duft seit jeher verbinde, spricht: »So wie du, Marie?«
Auf der einen Seite bin ich unglaublich froh, dass Katja wieder da ist. Aber warum muss sie sich auch noch dann auf meine Seite schlagen, wenn das kleine Missverständnis schon geklärt wurde? Weil es Marie ist? Ja, genau deswegen, denn die steigt genau auf der Ebene ein:
»Oh Katja, schön, dich wiederzusehen. Wie läuft’s denn zu Hause, alles wieder im Lack mit deinem Andi?«
Bevor Katja zurückschlagen kann, verlangen die Jungs wieder nach Getränken, und Gunnar zupft an meiner Jacke: »Bist du jetzt böse auf mich oder auf Marie, oder was?« Er lallt.
Das brauche ich jetzt wirklich nicht: »Halt’s Maul und trink«, befehlen meine beste Freundin und ich ihm, er schaut uns an, als seien wir ein zweiköpfiges Monster, und verkrümelt sich ans andere Ende der Theke. Da kann er sich von Linda und Toddy abschauen, was wahre Liebe ist.
»Schön, dich zu sehen, Süße, wo warst du denn?«, will ich nun von der wissen, die für mich auch durchs Feuer geht, wenn ich es schon gelöscht habe.
»Ich war bei Andi. In der Bank.«
Ja Katja, schön, dass du gerne zur Bank gehst, aber musst du das so laut sagen? Geradezu schreien? Marie scheint das auch unpassend zu finden. Um dem gemütlichen Saufgelage an der Bar weitere schrille Töne zu ersparen empfiehlt sie Katja: »Trink ein Natternblut, Frau Alpert.«
»Aber zu gern, Marie«, antwortet Katja überraschend besänftigt, »das macht dann eins fünfzig.«
Obwohl das der korrekte Verkaufspreis für das Teufelszeug ist, bin ich ebenso verwirrt über diese Feststellung wie Marie. »Ne Katja, du hast doch Mitarbeitertarif«, kräht Linda aus der Ecke. Mitarbeitertarif ist das neue Luxusgejammer. Aber Katja legt mit großer Geste das abgezählte Geld auf die Theke, zögert kurz und legt noch ein Zehn-Cent-Stück dazu: »Für deine Bemühungen, Marie.«
Jetzt hätte ich doch gerne wieder Gunnar an meiner Seite. Die Damen werden mir zu gruselig. Marie wirft das Geld in die Kasse, ihr Trinkgeld schiebt sie wieder Richtung Katja: »Kauf dir ein Stück Seife davon, Katja. Du solltest dir mal den Mund waschen, zwischen zwei Schwä …«
Katja hat schon ihr Glas im Anschlag, aber eine viel größere Hand umschlingt nun die ihre und drückt sie mit aller Kraft zurück auf die Theke: »Hört auf damit, ich kann es echt nicht mehr ertragen.« Jawohl, es reicht mir. Von Katjas Getue, aber erst recht von Marie habe ich für heute genug. »Und du hast ja wohl auch eine Schraube locker«, fauche ich über die Theke herüber, »wieso machst du Katja immer so an, sie arbeitet hier für nichts, und du …«
Ich habe den Faden verloren, Marie findet ihn schnell: »Doki, du bist echt … noch schlimmer als ich.«
Mit diesen Worten verlässt Marie ihre Theke und verschwindet.
Die meisten Gäste sind zu besoffen, um das merkwürdig zu finden oder überhaupt zu bemerken. Ich bin schlimmer als Marie? Wobei? Und warum steht jetzt Gunnar wieder neben mir? Und lallt gar nicht mehr, sondern spricht ganz klar und deutlich, wenn auch leise: »War das jetzt nötig?«
Aber bevor ich ihm darauf antworten kann, übernimmt Katja: »Ja, schon.«
Hier läuft doch irgendetwas völlig schief. Jeder weiß hier alles über jeden, nur ich weiß wieder mal gar nichts. Nichts über Marie. Etwas Wichtiges, was Katja mir verschweigt. Und Gunnar benimmt sich ebenfalls sehr sonderbar. Ist gar nicht mehr betrunken, aber weicht meinem Blick aus. Er schwankt ein bisschen, oder bin ich das?
Vielleicht kann mich der Mann aufklären, der jetzt zur Tür hereinkommt. Ich setze große Hoffnungen in ihn. Denn er weiß immer alles und klärt die Lage, ob mit weisen Worten oder mit einem Gartenschlauch. Mal sehen, welche Methode er heute wählt. Er entscheidet sich für eine ganz neue Strategie. Grüßt nicht, wie sonst höflich und korrekt, sondern packt mich an der Schulter und will wissen: »Doris, hast du noch meinen Koffer? Wir können ihn jetzt brauchen gut.«
Ich schaue Vladimir an. Er ist noch hässlicher als sonst. Wirkt gehetzt, denkt vielleicht, er
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