Betreutes Trinken
nur geprellt, muss nicht mal operiert werden.«
»Kein Bruch. Kein Gips, nicht operieren, toll«, nuschle ich lahm.
Die Ärztin lacht. »Oh, eine Kollegin, ja. Da wundert es mich nur, dass sie keinen ICE angegeben haben.«
Einen ICE . Sagte die Frau, dass sie einen Hirnschaden hätte? Die Glückliche. Ich habe keine Haare mehr!
» IN CASE OF EMERGENCY , eine Notrufnummer auf Ihrem Handy. Die Person, die wir anrufen sollen, wenn so etwas passiert. Macht man heute so.«
»Ich bin noch nicht mal bei Facebook«, gestehe ich ihr.
»Nicht?«, mischt sich meine Bettnachbarin ein. Sie ist mindestens fünfzig.
Die Ärztin mahnt sie ab: »Frau Tönnes, halten Sie sich bitte kurz raus, ja? Moment mal, ist das Frau Kindermanns Pudding …«
Mein Kopf platzt. Wenigstens ist die Doktor Wilms Hobbyjongleuse. Mit der einen Hand hält sie die Puddingschüssel, mit der anderen reicht sie mir die Brechschale:
»Erstaunlich«, kommentiert sie mein Würgen, »es dürfte gar nichts mehr in Ihnen drin sein.« Sie hat Recht. Ich spucke nur noch Galle.
»Also, Frau Kindermann, Sie hatten ja wirklich Glück, dass Ihre Freunde gerade in der Nähe waren, als Sie verunfallt sind. Die haben uns dann verständigt, sonst hätten Sie ja ewig da liegen können, in der Gegend.«
Meine behandelnde Ärztin hat wohl eine sehr harte Schicht hinter sich, wenn ich ihr mehrfach erklärter Glückspilz des Tages bin. Ich erinnere sie daran, dass ich immer noch das Opfer bin: »Und der Fahrer, was hat der gemacht?«
Frau Dr. Wilms seufzt: »Ach, wissen Sie, das ist eine ganz ulkige Geschichte, aber die lassen sie sich besser von Ihren Freunden erzählen. Die warten draußen.«
Warum sagt sie das nicht gleich? Ich bin so aufgeregt wie die Ehrengäste der Show Das war Ihr Leben . Die gab es wirklich, in der Sesamstraße früher, natürlich waren die Kandidaten Handpuppen, der eine ein Zahn, der andere ein Baum, wenn ich mich recht erinnere. Innen hohl, außen plüschig und fremdgesteuert. Genauso fühle ich mich tatsächlich auch, als Katja und Gunnar an mein Bett treten. Beide sehen furchtbar aus, ich werde sie aufmuntern müssen: »Ihr solltet erst mal den anderen sehen.«
Katja lächelt schwach: »Haben wir schon, Doki. Dem fehlt nichts. War ein Geländewagen.«
Gunnar starrt mich nur an. Männer kommen nicht klar mit unangekündigten Kurzhaarfrisuren ihrer Partnerin, keine Diskussion darüber. Willst du ihn loswerden, greif zur Schermaschine. Ich will Gunnar aber behalten, taste nach seiner Hand, und er gibt Pfötchen. Brav.
»Danke, dass ihr den Krankenwagen gerufen habt. Was ist mit dem Fahrer, ist der einfach abgehauen oder was?«
Gunnar starrt weiter auf meine freigelegte Kopfhaut: »Da war kein Fahrer. Du bist gegen ein parkendes Auto gebrettert. Mit voller Wucht.«
Katja nickt bestätigend, Tränen in den Augen. So dramatisch ist das nun auch nicht. Eher peinlich … oder ulkig, wie Frau Doktor sagte. Einige sehen es sogar ganz praktisch: »Ach, so was habe ich gestern noch im Fernsehen gesehen bei dieser Pannenshow. Haben Sie es zufällig gefilmt, da können Sie richtig Geld abstauben, wenn Sie es einsenden.«
Danke, Frau Tönnes, es ist immer von Vorteil, wenn die private Medienberaterin mithört. Tatsächlich hätte ich gerne das Filmmaterial gesichtet, denn es ist mir schleierhaft, wie das passieren konnte. Ich war unkonzentriert, klar, angespannt, aufgeregt, vielleicht nicht unbedingt fahrtüchtig. Völlig hinüber eben, wie Gunnar jetzt: »Ich dachte, du wärest tot.«
Och bitte, geht’s noch eine Nummer härter? Er flüstert: »Ich dachte, du wolltest dich umbringen.«
Katja lacht: »Jetzt komm runter, Doki hat schon ganz andere Kracher gebracht. Weißt du noch, wie du über den Staubsauger gestolpert bist? Oder die Sache mit dem Tacker? Du hast dir die Daumen zusammengetackert, ich habe so gelacht …«
Sie lacht, fast, wie sie damals gelacht hat, nur wirkte es damals echter. Gunnar starrt weiter, ich starre zurück. Macht Kopfschmerzen. Gunnar sagt immer noch nichts, dafür meldet sich Frau Tönnes mit einer Zwischenfrage: »Die Daumen zusammentackern? Wie schafft man das denn?«
Gunnar ist sonst immer freundlich zu älteren Damen: »Können Sie sich vielleicht aus unseren Privatgesprächen raushalten, ginge das? Es wäre sogar ganz toll von Ihnen, wenn Sie mal kurz rausgehen würden.«
Frau Tönnes sieht das anders: »Na, gehen Sie doch raus. Ich war als Erste hier. Das ist mein Zimmer«, argumentiert sie, wirft sich
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