Betreutes Trinken
stehen vor der Kneipe. Sie schnattern und grölen, lachen und stoßen mit ihren Bieren an, aber aus der ganzen Geräuschkulisse hört man einen tiefen Bass heraus, der verkündet: »Mach dich vom Acker, du Gesichtswurst, aber flott.«
»Natürlich ist er das«, bestätige ich, während wir auf die Stimme zugehen.
»Gesichtswurst ist neu, oder?«, erkundigt sich Katja, und ich muss gestehen: »Jau. Passt aber.«
Wir sind endlich da.
Raphael schwitzt. Sogar stärker als gewöhnlich, sein Haar klebt klitschnass an seinem Kopf, und wenn er statt eines Unterhemdes ein T-Shirt anhätte, würde man jetzt fladenbrotgroße Ringe unter seinen Achseln sehen. Aber sowohl seine Ausdünstungen als auch sein gefährliches Aussehen ist in seinem Job durchaus von Vorteil, zumindest in Momenten wie diesen: »Sagt mal, seid ihr taub oder nur vollkommen bescheuert?«, schreit er ein Rudel Skinheads an, das sich vor seinem Laden versammelt hat. Tatsächlich weichen die Burschen einen Meter zurück und kratzen sich unisono an den kahlen Köpfen. Raphael schnauft: »Aha, also beides. Zum letzten Mal: Das ist nicht der Adlerhorsthier, sondern das »Dead Horst«! Ihr wollt hier gar nicht rein, Jungs, und falls ihr es doch versucht, rufe ich die Bullen!«
Die Glatzen schauen betreten zu Boden, die übrigen Umstehenden senken ebenfalls den Blick, damit man ihre grinsenden Gesichter nicht sieht. Nur Raphael kann sich so eine Show erlauben, ohne dabei lächerlich oder todessehnsüchtig zu wirken. Sein Geheimnis liegt darin, dass er sich tatsächlich so maßlos über dieses Missverständnis aufregt, dass er es durchaus mit sieben Skinheads aufnehmen würde, um seinen Standpunkt klarzumachen. Und es funktioniert. Die Jungs drehen ab, und Raffi spuckt verächtlich auf den Boden. Die kleinen Punkermädchen, die auf dem Stromkasten den Logenplatz eingenommen haben, klatschen Beifall, den großen Sozialarbeiterinnen an der Straßenecke wird ganz warm ums Herz.
Raffi sieht aus wie Robert de Niro in Wie ein wilder Stier und riecht entsprechend. Aber einem Helden wie ihm lässt man das durchgehen.
Raffi seufzt auf, winkt mir zu, aber zeitgleich haben seine Adleraugen auch schon eine zweite Gruppe von Feierwütigen auf der anderen Straßenseite erspäht, denen er die Etikette seiner Kneipe hinüberschreit: »Und ihr, ihr kleinen Tussis, bevor ihr rüberkommt: Es ist auch nicht das »Crazy Horse«, das ist in der Innenstadt. Geht da eure Jugend versauen, aber bleibt mir vom Leibe!«
Die bunte Mädchengang, die sich angetan in lustigen Kostümen an die Kneipe pirschen wollte, bleibt erstarrt stehen. Ihre Anführerin, die ein rosa Tutu über fetten Schenkeln und einen Bauchladen vor sich trägt, keift zurück: »Ey, Alter, mach’ mich nicht an, ich heirate morgen!«
Ihr Hofstaat schnattert wenig damenhaft zu uns herüber, die kleinen Punkermädchen werfen leere Bierflaschen nach dem Junggesellinnenabschied. Ich überlege, was ich zur Deeskalation beitragen könnte, aber Raffi ist schneller: Mit einem Besen bewaffnet stürmt er über die Straße und scheucht die Braut damit bis vor den Altkleidercontainer. Ihr wildes Quieken, zusammen mit dem Tüllrock, unterstützt den Eindruck, dass Raphael eine Sau ums Dorf jagt, und das Publikum beginnt, laut zu johlen.
Raffi schafft es, Miss Piggy mit dem Besen vor dem Container in die Enge zu treiben, wir hören, wie er sie anbrüllt: »So, pass auf: Ich gebe dir jetzt einen Zwanziger, dafür bekomme ich alle Schnäpse aus deinem Bauchladen, und ihr verkrümelt euch in die Innenstadt, okay?«
»Okay«, quiekt die Braut, und ehe sie es sich versieht, bekommt sie von Raffi einen dicken Schmatzer ins Gesicht: »Dann mal herzlichen Glückwunsch, du Schmuckstück«, sagt er, lässt sie frei und wirft den Punkermädels lässig den Besen zu: »Und ihr Zecken macht das jetzt mal sauber, sonst gibt’s Hausverbot!«
So ist er, unser Chef. Binnen Minuten hat er es vollbracht, dass sich ein Dutzend Zwanzigjährige unsterblich in ihn verliebt hat, und sein Laden einem exklusiven Publikum vorbehalten bleibt. Wieder vor der Kneipentür angekommen, öffnet er das erste Schnapsfläschchen mit den Zähnen und knurrt: »Irgendwann benenne ich den Laden um, ich bin zu alt für so was.«
»›Dead Horst‹ bleibt ›Dead Horst‹«, unterbrechen wir seine Überlegungen mit Kampfgebrüll, und Raffi reckt die Faust nach oben, um den Gruß zu vollenden:
»›Und Horst bleibt Dead!‹ Hallo, Doki. Oh, hallo Kaaatjaaa!«
Wenn
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