Betreutes Trinken
die Königin aus dem Exil heimkehrt, wird auch der Haushofmeister brünstig. Geübt wirft die Regentin den Kopf in den Nacken, öffnet den Mund, Raffi schüttet den Schnaps hinein. Die Umstehenden lachen. Nicht so laut, wie sie gelacht haben, als Raffi diesen Trick mal mit mir als Partnerin versucht hat. Er musste ziemlich hoch springen, und wir sind beide auf dem Fahrradständer gelandet. Die vielen blauen Flecken waren nicht ganz so schlimm wie der Umstand, dass ich den ganzen Abend nach Raffis Schweiß roch.
»Habt ihr Karten? Ist nämlich ausverkauft«, lässt der Chef uns nun wissen, ein wenig Stolz schwingt in seiner Stimme mit.
»Echt, ausverkauft? Ich kannte die Band gar nicht, sind die famous in Finland, oder was?«, will Katja wissen, wobei sie diesen schlecht gefälschten amerikanischen Akzent aufsetzt, den man ihr wieder ausspülen sollte beizeiten.
»Ja, schon, und wir haben ein paar Karten im Radio verlost«, gibt Raphael kleinlaut zu und stellt fest: »Aber ausverkauft ist ausverkauft.«
»Das ist von der Idee her sehr schön, aber vielleicht sollte man dieses Gedankenkonstrukt noch einmal in Frage stellen«, meldet sich die Sozialarbeiterin zu Wort, zum Glück nur murmelnd, aber mich hat sowieso keiner gehört, weil Marie im selben Moment von der Theke aus brüllt: »Raphael, halte die Frauen nicht auf, ich brauche Gesellschaft hier!«
Wir entschuldigen uns beim Chef und treten ein.
V
I ch wähle meine Freundinnen sehr sorgfältig aus. Viel sorgfältiger als meine Freunde in jedem Fall. Wenn Katja eine Königin ist, ist Marie eine Göttin. Marie schwebt hinter der Theke her, sie ist bezaubernd, schlichtweg elfengleich. Eine herbe Elfe, die immer in schwarzes Leder gehüllt ist und deren Haar vom vielen Hin- und Herschwirren stets verstrubbelt ist. Aber es ist perfekt zerzaust, so als würde eine unsichtbare Stylistin stets hinter ihr herfliegen, und Marie hat den schönsten Mund der Welt.
»Marie sieht aus wie der Sänger von Aerosmith, nur mit noch weniger Titten«, hat einst eine schwer betrunkene Frau behauptet. Und ich wünschte, es wäre nicht Katja gewesen. Das Schlimmste an diesem Kommentar war aber nicht seine Quelle, sondern dessen Wahrheitsgehalt. Marie strahlt, genau wie Steve Tyler, reinen, puren Sex aus. Aber anders als der Rock-Uropa weiß Marie gar nicht, wie unwiderstehlich sie auf beiderlei Geschlechter wirkt. Sie ist tatsächlich der Meinung, dass ihr alle Männer und viele Frauen nur hinterhersabbern, weil sie ihnen Getränke ausschenkt. Ich denke manchmal, dass wir im »Dead Horst« nur aus dem Grunde eine Theke haben, damit Marie ihre Fans auf Abstand halten kann und nicht von ihnen aufgefressen wird.
»Mädels, schön, dass ihr endlich da seid!«, grölt Marie nun, »ich habe mich zu Tode gelangweilt.«
Die acht erwachsenen Männer an der Theke kichern wie eine Ladung Cheerleader, ein baumlanger Kerl mit Armen wie Presslufthämmer schlägt errötend die Augen nieder. »Guten Abend, Stefanie Tyler«, nuschelt Katja leise, ich boxe ihr unsanft in die Rippen. Katja mag Marie prinzipiell schon, aber eben eher auf einem mittelalterlichen Niveau. Als Herrscherin der irdischen Welt zweifelt sie manchmal an der Macht der Göttlichen, und ich stehe mahnend dazwischen, ich alte Gegenpäpstin.
»Doris Kindermann, du siehst bezaubernd aus«, flüstert Marie, als sie ihre Arme um mich schlingt. Der doppelte Presslufthammer fällt vom Hocker, Katja stöckelt höflich über ihn hinweg, um Marie mit ein paar Luftküsschen ihre Aufwartung zu machen.
»Hey, Katja, tolles Make-up,« lächelt Marie meiner besten Freundin zu, und ich ducke mich instinktiv, sehe Katja dabei flehend an: »Bitte, nicht zurückzicken, es ist unser Abend, bitte, bitte, bitte!«
Wenigstens das letzte »Bitte« konnte Katja wohl in meinen Gedanken lesen, denn sie vollführt eine halbe Pirouette und stellt fest: »Mensch, Marie, wo sind denn die ganzen Leute? Raphael meinte, es sei ausverkauft. Wo ist die Band? Und wo ist Toddy?«
Marie stellt uns unsere favorisierten Getränke auf die Deckel, ignoriert geflissentlich die ersten Teile von Katjas Frage und informiert uns trocken: »Unsere Köchin hat gekündigt. Deswegen mussten wir die Band zur Frittenbude schicken, die sollten aber gleich wieder kommen. Und euer Freund Theodore …«, als Marie Toddys echten Namen ausspricht, zwinkert sie mir zu, »… der kommt erst um elf wieder. Angeblich hat er eine spontane Bandprobe, aber wenn ihr mich fragt, hatte der
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