Betreutes Trinken
Und Vladimir wusste es auch, garantiert. Nur wollte der es mir nicht schonend beibringen, Vladimir wollte, dass Gunnar es mir beichtet.
Er hat Gunnar immer wieder die Gelegenheit gegeben, sich vor mir zu erklären: holt seinen Eckzahn aus der Manteltasche, der wahrscheinlich gar nicht bei der Schlägerei rausgebrochen ist, sondern beim wilden Liebesspiel im Backstage. Igitt. Dieses ganze Kumpelgehabe zwischen den beiden war nur Show, ich kann mir vorstellen, dass Vladimir Gunnar nur in seiner Nähe haben wollte, um ihm immer wieder die Pistole auf die Brust zu setzen. Er muss ihn hassen, den Gunnar.
Sonst tut man so etwas doch nicht, es sei denn …
Darum werde ich mich später kümmern, bis dahin ist Hass ein gutes Stichwort. Ich hasse Gunnar und Katja. Aber es ist sehr anstrengend. Zudem wird es schnell langweilig, weil man so gar keine Rückmeldung von den Gehassten erhält. Die merken wahrscheinlich gar nicht, dass sie gerade gehasst werden, aus über achthundert Metern Entfernung.
Also sollte ich doch losgehen und das direkte Gespräch mit ihnen suchen. Mal offen darüber reden, wie ich mich jetzt so fühle, so mit all dem.
Nein.
Das bringe ich erst recht nicht, eine quälende Gruppenanalyse, konstruktive Nacharbeit zu einem gescheiterten Projekt.
Es sieht so aus, als wäre ich nach meinen Freunden, meiner Kneipe und meinen Haaren auch noch meinen hartnäckigen Sozialarbeitervirus losgeworden. Ist doch prima. Gibt es sonst noch was, was ich aus-, aufräumen, abschaffen oder loswerden könnte?
Ich biete meine DVD -Sammlung bei eBay an, zum Festpreis. Dann schalte ich eine Anzeige unter »Immobilien/Angebote«:
»Zwei-Zimmer-Wohnung, citynah, nicht WG -geeignet, aber ideal für Erstsemester mit kleinem Geldbeutel. Zum 01. 07. oder früher«
Jetzt, wo ich Katja nicht mehr habe, werde ich mir einfach selbst in den Arsch treten müssen. Und weil Gunnar nicht mehr da ist, dem ich den ganzen Tag gefallen will, werde ich das auch hinkriegen.
Ich könnte meinem Spiegelbild jetzt ermutigend zunicken, aber ich bin zu erschrocken von dem Anblick: Mit Glatze sehe ich aus wie Andi auf seinen alten Klassenfotos.
XLIII
D oki, können wir uns mal treffen? Auf einen Käsekuchen oder so.«
Da liegt also mein verborgenes Talent. Rede ich über Gunnar, taucht er Jahre zu spät auf, in meiner Kneipe. Denke ich an Andi, ruft er am nächsten Morgen an. Ich sollte mal an Brad Pitt denken. Oder an Elvis.
»Okay, klar. Aber wo?«
Gut, wenn man praktische Dinge zu besprechen hat, das lenkt vom Wesentlichen ab. Nicht ins »Grotekamps«, nein. Hier in der Stadt? Das will Andi nicht. Ob er mich abholen kann und wir fahren ein bisschen aufs Land?
Sicher, aber bitte Richtung Süden. Andi findet das auch besser.
»Wir können es schaffen, über die Grenze bis nach Mexiko, Thelma.«
Es gibt wenig Typen, die auf den Film stehen. Andi mag Thelma & Louise wegen der coolen Karre schätze ich. Oder er will sich bei mir einschleimen. Und einen Partnertausch vorschlagen. Ich setze lieber keine Mütze auf, um sicherzugehen, dass diese Verabredung nicht zu einem Date mit dem verzweifelten Herrn Jahn mutiert.
»Und ich dachte, mir geht es beschissen«, grüßt mich mein langhaariger Zwilling. Andi trägt Kontaktlinsen, wahrscheinlich hat der Hornbrillenrand zu sehr auf sein abheilendes Veilchen gedrückt. Außerdem hat er fast die gleichen Klamotten an wie ich, nur ein paar Nummern größer. Wir könnten ein wenig Geld verdienen, indem wir gefälschte Vorher/Nachher-Fotos für einen Diät-Drink schießen lassen. Andi grinst: »Könnten wir. Aber zuerst essen wir Kuchen.«
Andi klappt das Verdeck herunter, schaltet das Radio an und wir brausen los. Nicht bis nach Mexiko, aber fast bis nach Koblenz.
Nach drei Stück Torte geht es mir besser. Andi porkelt immer noch an seinem ersten Stück herum, und jetzt, wo uns kein Autobahnlärm mehr umgibt und er die Musik nicht mehr lauter drehen kann, fragt er endlich: »Seit wann wusstest du es, Doki?«
»Auch erst seit vorgestern. Ich hab’s mir halt irgendwie zusammengereimt.«
Und dann habe ich Gunnar zu Katja geschickt. Aber das muss ich Andi nicht sagen, das wird er mitbekommen haben, wahrscheinlich durfte er von der ersten Reihe aus mit ansehen, wie seine Braut mit dem Anderen abhaut. Kein Wunder, dass er keinen Appetit hat.
»Sie wollte nie Kinder haben. Hat sie mir immer gesagt«, schnauft er nun.
Ich nicke, stimmt, dass hat Katja mir auch immer gesagt. Bloß keine Blagen. Aber wie
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