Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
Vom Netzwerk:
größere, gemeine Teil fragt sich, weshalb Katja ihre größte Show gerade jetzt abziehen muss, aber dann spricht doch die Stimme der reinen Vernunft aus mir: »Natternblut her, aber schnell!«, juchze ich, und wir hüpfen weiter, bis ich Vladimir bemerke, der mich amüsiert anglotzt: »Es gibt doch keinen schöneren Anblick als eine Frau, die sich aus vollem Herzen über das Glück anderer freut«, stellt er fest.
    Katja wird aus meinen Armen gerissen und zum Beglückwünschen durch die sich langsam füllende Kneipe geschubst, ich höre auf zu hüpfen. Vladimir reicht mir ein Schnapsglas:
    »Doris, guck’ mal an dir herunter – unauffällig«, rät er mir. Verdammt, die Knöpfe vom Kleid sind dieses Mal nicht auf-, sondern abgesprungen. Alle vier. Kein Wunder, dass ich mich so frei und beschwingt gefühlt habe: »Danke«, zische ich, während ich versuche, meinen Ausschnitt mit den flachen Händen zu bedecken.
    »Ein Mann muss manchmal Opfer bringen, wenn eine Dame im Begriff ist, ihren Kopf zu verlieren«, lässt Vladimir mich an seiner Weltanschauung teilhaben. Ich habe für heute genug von dramatischen Auftritten, also schnappe ich zurück: »Es war nur das Kleid, Vladimir.«
    »Wie du meinst«, gibt er zurück, dann klopft er auf die Theke und ruft: »Marie, darf ich zahlen?«
    Ich kann nur annehmen, dass er darf, aber mit Bestimmtheit werde ich das nie sagen können, denn Gunnar ist wieder aufgetaucht.
    »Mann, hier ist ja wirklich was los«, stellt er anerkennend fest und wippt mit dem Fuß im Takt der Musik.
    »Ja«, sage ich, erstens, weil es stimmt, und zweitens, weil ich plötzlich so eine ungute Distanz zwischen uns fühle, so als hätten wir uns ewig nicht gesehen und gar nicht geknutscht, eben, vor allen Leuten. Ich kann meine Unsicherheit nur ganz schlecht verbergen, schon, weil ich mit einer Hand mein Kleid am Körper festhalten muss.
    »Ich gehe mal kurz aufs Klo, mich anziehen«, informiere ich meinen ehemaligen Freund, und ausgerechnet diese wenig geheimnisvolle Nachricht bricht das Eis erneut.
    »Doris, du bist unglaublich«, lacht Gunnar,« warst du immer übrigens. Soll ich mitkommen?«
    »Aufs Klo? Ach nö, lass mal«, entgegne ich, denn eine Lady weiß, wann es gilt, geheimnisvoll zu bleiben. Dazu gehört es unbedingt, die sanitären Anlagen ohne männlichen Geleitschutz aufzusuchen. Gunnar verpasst mir eine ganz, ganz sanfte Kopfnuss, so wie ganz, ganz früher, und er korrigiert: »Doch, ich glaub schon ich will mit dir auf den Pott, um dir dort etwas zu geben. Ein T-Shirt von der Band nämlich, oder willst du für den Rest des Abends so herumlaufen?«
    Ich spreche lieber nicht aus, was ich mit dem Rest des Abends zu tun gedachte, seufze und lasse den schönen, aber gar nicht fremden Mann zu seinem verwüsteten Merchandise-Stand entschwinden, damit er mir dort ein Kleidungsstück aus den Bierpfützen fischt, auf dem selbstredend » KILL HIM « zu lesen ist.
    Wieso ist er eigentlich Fahrer einer schwulen, finnischen Punkband?, frage ich mich wieder. Das ist doch ein ziemlicher Stilbruch, nachdem man in Leipzig Architektur studiert und mit einer Parkettbodenfrau zusammengelebt hat? Was ist passiert in den letzten elf Jahren?
    Mir kommt ein sehr erwachsener Gedanke. Ich könnte gleich einfach mal mit meiner Jugendliebe die sanitären Anlagen einer völlig heruntergerockten Kneipe aufsuchen, um mit ihm Erfahrungen auszutauschen. Einfach nur reden. Das tun wir Sozialarbeiterinnen doch so gerne. Reden ist immer gut, es sei denn, es wird einem urplötzlich übel, vielleicht, weil man den ganzen Tag über fast nichts gegessen, aber dafür umso mehr getrunken hat.
    Ich gehe schon mal vor zu den Toiletten. Gunnar wird mich schon finden, er weiß ja, wo ich hinwollte. Hasch mich, ich bin der Frühling, kann ich noch denken, bevor ich vor der Kloschüssel in die Knie gehe.

VII
    I ch wache auf, und alles um mich herum ist weiß, weich und flauschig.
    »Ich bin im Himmel«, meldet sich das Zentrum für Unfug und Verklärtheit, das nach einer durchzechten Nacht immer als Erstes anspringt, nur um mich dann schnurstracks mit der Zentrale für Reumütigkeit und Naheliegendem zu verbinden: »Nein, ich bin im Krankenhaus.«
    Noch bevor ich mich anständig darüber wundern kann, wie gediegen dieses Hospitalzimmer eingerichtet ist, taste ich die Patientin oberflächlich ab. Die guten Nachrichten: Ich trage keines dieser unwürdigen Nachthemden, sondern ein T-Shirt, das sich fremd anfühlt, sowie die Reste

Weitere Kostenlose Bücher