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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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ausgewandert nach Sibirien, ohne mir Bescheid zu sagen. Oder er hätte sogar geheiratet.
    Das hat mir sehr geholfen, mich in mein Selbstmitleid hineinzusteigern, nach jedem einzelnen Idioten, der nach Gunnar kam. Denn das waren alles Idioten. Ich hätte auch mal bei meinen alten Klassenkameraden nachhorchen können, unauffällig, aber dazu war ich zu stolz. Lieber Gunnar nie mehr sehen, als bei den dummen Schnepfen und hohlen Bauern zuzugeben, dass wir uns getrennt haben, noch vor Studienbeginn. Mein Magen verkrampft sich, und ich hasse meine Schwester. Weil sie umgezogen ist, feiern wir das Weihnachtsfest seit Jahren im Nachbarkaff, so habe ich zehn Chancen verpasst, Gunnar zu treffen, beim Bäcker, am zweiten Feiertag.
    Dann hätten wir da gestanden, mit unseren Brötchentüten, unterkühlt, müde und überreizt vom Familienessen, in hässlichen praktischen Winterjacken, die uns unsere Eltern geliehen hätten, und uns gefragt: »Und du so?«
    Ich liebe meine Schwester. Sie hat mir das alles erspart, wegen ihr kann ich jetzt den zuckenden Fuß bewundern, der trotz dringender Pediküre so schön ist. Kernig, markant, ein guter, solider Männerfuß, der vor mir weggelaufen ist, um fortan auf Parkett zu wandeln.
    Und auch jetzt wendet er sich von mir ab. Dafür dreht sich das andere Ende des Körpers mir zu: Ein verschlafenes Gesicht mit geöffneten Augen sagt: »Hey.«
    »Hey«, antworte ich. Hervorragend. Elf Jahre nicht gesehen, und schon reden wir miteinander wie Ermittler in einem durchschnittlichen Schweden-Krimi. Ich muss etwas gehaltvolleren Gesprächsstoff in die Runde werfen, egal, was für einen: »Sehe ich so beschissen aus, wie ich mich fühle?«
    Was für ein Eisbrecher. Gunnars Augen öffnen sich wieder, er lächelt so kokett, wie es ein Ein-Meter-neunzig-Kerl mit dichtem Bartschatten vermag: »Mit welcher Antwort habe ich eine Chance?«
    Ich bin doch im Himmel. In meiner ganzen beschränkten Fantasie habe ich mir nie ausgemalt, dass Gunnar bei unserem Wiedersehen auf eine bescheuerte Frage von mir mit dem schönsten Zitat antworten würde, ein Spruch aus dem ersten Film, den wir damals gemeinsam gesehen haben. Er macht mir den Tootsie , im Liegen, und sieht dabei tausendmal besser aus als Dustin Hoffman.
    »Du hast es nicht vergessen«, murmle ich gerührt, und Gunnar robbt näher an mich heran, um mir einen Kuss zu geben. Auf die Stirn. Klar bin ich in der Abteilung des Himmels gelandet, die denjenigen vorbehalten ist, die aus der Kirche ausgetreten sind – erst butterweich das Paradies antäuschen und dann direkt mit einem Arschtritt in die Vorhölle. Ein Kuss auf die Stirn, gefolgt von relativierendem Brummen: »Ne, hab ich nicht vergessen und werde ich auch nicht.« Er geht wieder auf Abstand. Mag an meinem Atem liegen oder daran, dass Gunnar doch die Nummer eins meiner Idiotensammlung ist.
    So gut sieht er nun auch nicht mehr aus. Älter als einunddreißig. Abgekämpft. Wahrscheinlich arbeitet er den ganzen Tag, weil er Alimente zahlen muss für drei uneheliche Kinder. Oder er hat gestern halb soviel getrunken wie ich. Gunnar sieht mich besorgt an, also sehe ich tatsächlich schlimmer aus als ich mich fühle, und noch älter als er: »Ähem, Doris … von gestern Nacht weißt du nicht mehr allzu viel, oder?«
    Soll das eine Fangfrage sein? Habe ich noch etwas Essenzielles verpasst, außer der Tatsache, dass wir gestorben und in einem luxuriösen Zwischenlager für Exkommunizierte gelandet sind? Ich versuche, ihn zu beeindrucken, indem ich mehr als zehn Worte in sinnvoller Kombination hintereinander aufsage: »Wir waren in der Kneipe. Du auch. Und Katja! Wir haben getrunken, da waren so komische Finnen, und dann musste ich mal kurz aufs Klo …«, versuche ich den Abend zusammenzufassen, und in der Retrospektive klingt er gar nicht mehr so aufregend, faszinierend und unglaublich.
    Mag daran liegen, dass ich wichtige Teile ausgelassen habe, wie zum Beispiel, dass wir geknutscht haben und Katja heiraten will. Ihren Andi. Was für eine Sensation, denke ich, was für ein Irrsinn, ich muss sofort Katja anrufen, allerdings: Ich habe ja auch noch geknutscht. Mit dem Mann, mit dem ich das gelernt habe. Der mich jetzt immer noch fragend anschaut, und auch ein bisschen verwirrt. Verliebt? Verkatert?
    »Ja, genau, du bist alleine aufs Klo und kamst nicht wieder. Katja und ich haben dich dann da gefunden und dich irgendwie ins Taxi gepackt. Klingelt da was?«
    Ich schüttle den Kopf. Das sollte ich lassen, es

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