Betreutes Trinken
schmerzt. Gunnar seufzt: »Und dann haben wir dich hier abgeliefert, dass war ein schönes Stück Überzeugungsarbeit, und Katja ist wieder gefahren, als sie gesehen hat, dass sie hier … also … zuviel ist. Sie hat uns netterweise das Hotelzimmer überlassen.«
Da wird er doch tatsächlich rot, der Gunnar! Und ich erst. Ich habe zwar immer noch nicht den geringsten Schimmer, was geschehen ist, aber wenn Gunnar sich schon in blumige Ausflüchte rettet, möchte ich gar nicht wissen, was ich getan habe. Oder vielleicht doch: »Gunnar, habe ich dich irgendwie … oder du mich …?«
Gunnar setzt sich aufrecht hin, um besser kichern zu können: »Ach, Frau Kindermann, Sie waren definitiv viel zu besoffen, um irgendwelche unsittlichen Handlungen vorzunehmen. Oder auch nur unsittlich behandelt zu werden, wie ich hinzufügen möchte. Seit wann kannst du übrigens so schnarchen?«
Ich setze mich ebenfalls hin. Vielleicht hätte ich mir doch die Illusion bewahren sollen, dass ich eine Nacht voller Leidenschaft verbracht habe. Aber der Keks ist gekrümelt, also kann ich mich ja nun wieder etwas zurücknehmen, ein wenig auf eiskalte Schneekönigin machen, so, wie ich es mir all die Jahre vorgenommen habe: »Nenn’ mich nicht Frau Kindermann«, quäke ich also, weit entfernt von jeglicher distanzierter Abgeklärtheit, eher Richtung beleidigtes Zicklein. »Das darf nur Katja zu mir sagen!«
Mein Gewissen, das ich wohl über Nacht plattgelegen habe, rappelt sich auf und kriecht mir in den Nacken. Die gute Katja. Arme Katja. Überlässt mir großzügigst diese feudale Herberge, für nichts und wieder nichts. Wie schön wäre es jetzt, wenn sie hier wäre, und nicht ausgerechnet Gunnar.
»Tschuldigung, Baby. Doris. Doki. Verdammt, ich wollte doch nur …«, er lässt seinen Oberkörper wieder in die Kissen fallen, aber nicht, ohne mich zu packen, und mich mit herunterzureißen. Ich beschließe, dass ich diese Wendung durchaus mehr genießen könnte, wenn sich nicht alles in meinem Kopf drehen würde. Also schalte ich den Kopf aus. Es klappt vorzüglich. Köpfe sind in gewissen Situationen nur dazu da, um sie an die nackte Brust seines Exfreundes zu pressen. Und das Ex dabei zu vergessen.
»Viel besser«, bestätigt auch der Mann.
Ich lasse ihn noch ein bisschen reden, nutze seinen Brustkorb als Bassverstärker, der Text klingt verheißungsvoll: »Scheiße, Doris, ich war einfach so verdutzt, als ich dich gestern gesehen habe.«
Ich hüte mich davor, ihn zu unterbrechen, mit irgendeinem Besserwissersatz, wie: »Wieso verdutzt? Ich wohne in dieser Stadt!« Nein, ich bleibe auf Empfängermodus, mal hören, wie dieser Song sich entwickelt. Die Rhythmusgitarre stimmt mit ein, Gunnar streichelt meinen Arm. Gefällt mir.
»Und du sahst so schön aus, so zufrieden, und ich finde es so toll, dass du jetzt was im sozialen Bereich machst.« Gut, diese Zeile halte ich für überarbeitungswürdig, aber auf den Refrain bin ich sehr gespannt. Und der haut rein. Gunnar schnellt hoch, umarmt mich und flüstert, er haucht mir direkt ins Gesicht: »Ich habe dich so vermisst, Süße.«
Und er küsst mich. Richtig. Richtiger als gestern, und ich küsse zurück, bestätigend, liebend, ihm alles verzeihend, wild. So wild, dass es klopft.
Was klopft? Das Zimmermädchen, na klar. Sie wartet auch nicht auf ein »Herein!«, sondern latscht einfach in den Raum, glotzt uns an und wird gar nicht rot. Das kann nur eins bedeuten: Sie hat schon andere Paare in Doppelzimmern gesehen, in ganz anderen Situationen.
»Es ist fünf vor zwölf«, stellt sie fest, noch eindringlicher als ein von Greenpeace engagierter Schauspieler, der denselben Satz in die Kamera spricht.
Aber offenbar erwartet sie jetzt nicht von uns, dass wir den sibirischen Tiger retten, sondern unsere Hintern aus dem Bett schwingen, um das Zimmer zu räumen.
»Shit«, ruft Gunnar, schwingt seinen gesamten Körper tatsächlich blitzschnell aus unserer weichen Wolkenburg und springt in seine Stiefel. Das Zimmermädchen verschwindet im Bad, zufrieden grinsend.
»Scheiße, Scheiße, ich muss die Band abholen. Ich muss die bis halb vier nach Pforzheim gebracht haben!«, flucht Gunnar, während er nach seinem T-Shirt fahndet.Was das ruppige Zimmermädchen nicht völlig zerstören konnte, schafft die Erwähnung des Wortes Pforzheim. Kann eine Stadt einen unerotischeren Namen haben? Ich denke ernsthaft darüber nach: Gummersbach ist auch nicht übel, Neu-Ulm klingt schon nach Neutrum
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