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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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eines Kleides, das mir halbwegs vertraut erscheint. Ich habe auch keine Kanüle im Arm stecken, kein Infusionsständer stört das gepflegte Ambiente des Raumes. Der frische, leicht klinische Geruch stammt auch nicht von Desinfektionsmitteln, sondern von dem Minzeplätzchen, das an meiner Wange klebt.
    »Hotel«, fasst mein Hirn zusammen und löst im nächsten Moment Alarm aus: Hotel schön. Hotel teuer. Kein Geld. Wo Katja?
    Panisch blicke ich mich in dem riesigen Bett um, bin versucht, nach Hilfe zu rufen, aber da erkenne ich am Horizont, am Westend des mondänen Lagers einen dunklen Haarschopf, der auf dem Kissen ruht. Nach der Hügellandschaft zu urteilen, die sich unter der Decke abzeichnet, ist dieses Haarteil auch mit einem Kopf und Körper verbunden. Es kostet mich unendliche Kraft, meinen Arm nach dem Körper auszustrecken, und als meine Fingerspitzen seinen Rücken erreichen, knurrt dessen Eigentümer nur schläfrig und streckt einen Fuß unter der Bettdecke hervor. Verdammt. Während das Knurren durchaus von meiner besten Freundin hätte stammen können, passen diese unlackierten Fußnägel auf keinen Fall zur erhofften Zielperson.
    Mit zusammengekniffenen Augen scanne ich den Körper ab wie der Terminator, der sich in der Nacht selbst eingeschmolzen hat und sich nun mühsam regeneriert. Ist das Raffi? Viel zu groß. Toddy? Bitte nicht. Dann lieber ein völlig Fremder, den ich gestern Nacht, nachdem ich auf der Toilette war, irgendwo aufgegabelt habe. Was habe ich getan, nachdem ich zur Toilette gegangen bin?
    »Doris?«, murmelt der Mann nun, und das ist eindeutig die Parole, die schneller wirkt als alle Kopfschmerztabletten auf einmal. Es ist Gunnar. Gunnar. Er schnarcht schon wieder, leise und regelmäßig. Wow. Er sagt meinen Namen im Schlaf. Und ich erkenne nicht mal seinen Fuß wieder, ich kaltherziges Weib. Ich sollte jetzt leise aufstehen, duschen und ein halbwegs passables Gesicht aus mir herauswaschen, bevor er aufwacht.
    Würde ich alles tun – wenn mein Körper mir gehorchen würde.
    Aber der ist mit sich selbst beschäftigt. Er schmerzt an Stellen, von denen ich nicht wusste, dass sie existieren, er schwitzt und dünstet aus. Verzweifelt versuche ich, meine Nase in Richtung Minzeplätzchen zu halten und wieder so zu tun, als ob ich schliefe. Oder tatsächlich einzuschlafen, aber das geht auch nicht mehr. Da liegt Gunnar. Gestern hat er mich geküsst und heute flüstert er schlafend meinen Namen. Zu gerne wüsste ich, was in den letzten Stunden geschehen ist, aber ich kann mich ums Verrecken nicht erinnern.
    Gunnar.
    Manchmal hatte ich mir vorgestellt, wie es sein würde, ihn wiederzusehen. Ziemlich oft sogar.
    Viele unterschiedliche Szenarien habe ich mir ausgemalt: Wir treffen uns zufällig auf einem Bahnsteig, ich als erfolgreiche Geschäftsfrau, er mit seiner Parkett-Uschi, fieses Wohlstandsbäuchlein, eine Schar rotznasiger Bälger im Schlepptau. An hormonell bedenklichen Tagen sah ich uns auch in einem Café, mein eigenes vielleicht, er mit dunklen Ringen unter den Augen, verzweifelt. Ich hingegen glücklich hinter der Theke, mit einem schönen Mann an meiner Seite, unsere bezaubernden Kinder spielten im Hinterhof.
    Der Klassiker war allerdings Gunnar, mit einer Schachtel Pizza in der Hand, ein Lächeln auf den Lippen, die Worte stöhnend: »Wie kam ich nur auf Leipzig? Hauptsache, wir sind zusammen.«
    »Dir sei verziehen, Unwürdiger. Küsse den Ring, dann den Rest von mir.«
    Danach folgten wilde Versöhnungsszenen, meist auf Linoleum.
    Der Gedanke, dass er schwule finnische Punkbands durch die Gegend kutschiert und wir schon liegen, bevor wir mehr als zwei vernünftige Sätze wechseln konnten, kam mir nie in den Sinn.
    Ich will mit ihm reden. Ich will duschen. Ich will, dass er weiterschläft, bis ich geduscht habe, einen vorzeigbaren Freund aufgetan und mich auf dem Höhepunkt meiner Karriere befinden kann. Das mit den Kindern werde ich wohl in dem Zeitfenster nicht schaffen, da bin ich Realistin.
    Gunnars Fuß zuckt. Er könnte die Nägel mal wieder schneiden. Ich auch. Wie konnten wir uns je trennen, bei all unseren Gemeinsamkeiten?
    Wahrscheinlich, weil wir beide elende Sturköpfe sind. Sonst hätten wir es doch in elf Jahren mal geschafft, uns zu sehen. Zu telefonieren. Es gibt so eine technische Errungenschaft, die sich Internet nennt. Nach jeder bescheuerten Affäre habe ich ihn gegoogelt, aber nie gefunden. Dann habe ich mir vorgestellt, er sei gestorben, oder schlimmer noch,

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