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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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ich wieder aufwache.

VIII
    W er will denn heute mal anfangen?«, fragt Margret, und ich bin froh, dass ich die berufsübliche Tarnkleidung gewählt habe. Jeden zweiten Montag ist Teamgespräch im Anker und auch heute läuft es nach dem gewohnten Muster ab: Eine Laientheatergruppe spielt Die Zwölf Geschworenen nach, und da sich nie Publikum einfindet, haben die Akteure sich darauf geeinigt, das Ganze mit Blümchenkaffee und Slapstick-Einlagen aufzumotzen.
    Aber noch sind wir beim Aufwärmen, sprich, alle Schauspieler müssen erst in ihre Rolle finden. Dazu sitzen wir im Stuhlkreis und erzählen reihum, wie es uns so geht, was uns gerade beschäftigt und was wir für Ziele haben in den nächsten vierzehn Tagen.
    Ich persönlich kann montags noch nicht so gut lügen, daher benötige ich eine gute Vorlage von einem Kollegen. Ein Anstoß zum Improvisieren könnte mich retten, und da ich seit letzter Woche weiß, dass ich unter Margrets besonderer Beobachtung stehe, und sie nach der klassischen Schweigeminute nach dem Satz: »Wer will denn heute mal anfangen?« natürlich einen freiwilligen Eröffnungsredner herauspicken wird, bete ich nur still in mein Halstuch hinein. Ein großes, buntes Halstuch und eine orangefarbene Strickjacke habe ich angezogen, darunter ein rot geringeltes T-Shirt. Es wirkt. Die Farben meines Ensembles haben sich gegenseitig längst totgebissen und somit neutralisiert. Margret schaut an mir vorbei: »Jochen, du warst lange nicht mehr der Erste, oder?«, erwählt meine Chefin ihren Kandidaten, und ich bin aus dem Schneider.
    Jochen ist eine verdammt gute Wahl, zumindest aus meiner Sicht. Der Mann hat was zu erzählen, wenn auch nur bedingt Neues: »Ja, nun, ihr wisst ja, es ist bei mir derzeit privat etwas turbulent«, hebt Jochen an, wir alle nicken, und Jochen tätschelt seinen Oberarm, wahrscheinlich um sein Nikotinpflaster unter der Lederjacke zurechtzurücken. Jochens Privatleben ist immer turbulent, aber ich hoffe, er gibt noch ein paar Eckdaten preis, zum Beispiel, wie seine aktuelle Lebensgefährtin heißt und in welchem Schwangerschaftsmonat sie sich befindet.
    »Ja, die Corinna entbindet nächste Woche, das ist natürlich aufregend, obwohl es ja nicht mein erstes Mal ist …«
    Jochen lacht auf und der erste Test beginnt. Mitlachen, aber auf keinen Fall lauter oder gar länger als der werdende Vater selbst. Um dieses empathische Lachen zu erzeugen, habe ich mir eine Technik zugelegt: Damit es nicht schallend aus mir herausbricht, stelle ich mir eine Viertelsekunde den alten Bock beim Sex vor, dass verleiht mir sofort einen betroffenen Gesichtsausdruck. Die nötige Milde beim Lächeln füge ich dann hinzu, in dem ich mir vorstelle, dass Jochen einen Masterplan verfolgt: Er will die nächste Generation Jugendlicher für den Anker ganz alleine erzeugen, und er kann es schaffen.
    »… nun, wir haben uns nun gegen die Hausgeburt ausgesprochen, was ich persönlich schade finde, aber das ist ja auch irgendwie Corinnas Entscheidung.«
    Ach ja, Jochen der großmütige alte Stammesfürst. Wenn ich Glück habe, redet er noch eine Weile über seine ersten sechs Kinder und Ehefrauen, aber leider würgt Margret unseren Privatmormonen unsanft ab: »Okay, Jochen, danke. Wie sieht es denn aus deiner Sicht hier im Zentrum aus? Gibt es Jugendliche, die dir besonders aufgefallen sind in letzter Zeit?«
    Jochen krault sich seine Bartstoppeln: »Nö, niemand Konkretes. Obwohl, der Ludolf vielleicht, ich finde, der hat schon so einen merkwürdigen Ton drauf, gegenüber den Mitarbeitern. Also, jetzt gar nicht aggressiv, sondern eher …«
    Egal, wie sehr Jochen seinen Dreitagebart nach der passenden Vokabel absucht, er findet sie nicht. Und ich werde ihm die Lösung nicht verraten. Ich werde mich überhaupt nicht einmischen in Jochens Eindrücke über Ludi, weil das hier ein ganz abgekartetes Spiel ist. Jochen mag Ludi einfach nicht, weil der schlauer ist als die meisten Fünfzehnjährigen. Ludolf hat längst kapiert, dass wir ihn hier mehr brauchen als er uns. So gesehen nutzt er die Lage gar nicht so schamlos aus, wie er könnte.
    Jochen sieht das anders: »Also, jedenfalls denke ich, dass sich einige der Mädchen vielleicht durch so eine Art eingeschüchtert fühlen könnten, und daher noch mal konkret mein Vorschlag: die Einführung eines reinen Mädchentages. Zu Förderungszwecken.«
    »Diese Ratte!«, denke ich, »Ein Mädchentag, was für ein raffinierter Köder.«
    Ich blicke in die Runde und schaue,

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