Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
Trainingsanzug in Türkis und Pink, darunter ein gelbes Hemd mit gemusterter Krawatte und statt Augen zwei Glasbausteine in einem Pfannkuchengesicht. Außerdem will er mit mir tanzen. Ein komisches Vorstellungsgespräch, denke ich, tanze aber erstmal mit.
Der dicke Mann zieht mich in die Wohnung, die Wände des Flures sind mit psychedelischen Malereien versehen, die eine ländliche Szenerie darstellen, einen Bauernhof mit sehr vielen Tieren. Als mir der dicke Mann die Tiere namentlich vorzustellen beginnt, erkenne ich, dass sie alle ficken und uns fröhlich dabei zuwinken. Unten links ist das Bild mit »Horsti« signiert.
»Und Sie sind wirklich der Leiter hier …?« frage ich höflich, aber zutiefst zweifelnd und der dicke Mann nickt derart vehement, dass sein Doppelkinn immer wieder auf die Brust flatscht und ihm die Brille auf die Nasenspitze rutscht. Dann schüttelt er mir die Hand, stellt sich als »Käpt’n Horsti« vor und begrüßt mich im Namen der Bundesregierung.
Wir stehen eine Weile herum, ich lächle verlegen, Käpt’n Horsti guckt erwartungsvoll. Ich will erklären, dass ich der neue Zivi bin und mich hier melden soll, aber Käpt’n Horsti unterbricht ungeduldig und sagt, dass wir jetzt erst einmal zusammen Wrestling-Videos gucken müssen. Dann hält er mir einen Vortrag über Aufgaben und Pflichten eines Zivildienstleistenden, die hauptsächlich aus Wrestling-Videos gucken, Schlager hören und Minigolf spielen bestehen, und zwar stets mit sowie unter der Aufsicht von Kapitän Horsti. Mit dieser Stellenbeschreibung sollte er übrigens weitgehend Recht behalten.
Eine kleine Frau mit Downsyndrom kommt in den Flur gewatschelt, sie hat einen sehr vollen Becher Kaffee in der Hand und pladdert damit den Boden voll. Als ich sie höflich darauf hinweise, kräht sie, dass der neue Zivi das wegmachen muss.
»Ich bin der neue Zivi«, sage ich, sie antwortet: »Mach dat weg!« und zeigt auf die Kaffeeflecken. Damit war die Stellenbeschreibung dann auch wirklich komplett. Die Frau schickt Horsti mit einer knappen Handbewegung auf sein Zimmer – er ist wohl doch nicht der Chef hier. Ich aber auch nicht, gibt die Frau mir zu verstehen; sie will erst wieder mit mir reden, wenn ich den Boden geputzt habe. Bis dahin sagt sie nur: »Mach dat weg«, steckt ihre kleinen Fäuste in die Hüften und guckt mich herausfordernd an. Sie ist zwar nur einsvierzig hoch, aber genauso breit und füllt den gesamten Türrahmen aus. Sie trägt einen Morgenmantel aus weinrotem Samt, grüne Pantoffeln mit Goldstickereien und etwas, das zunächst aussieht wie eine Perücke aus Wollmäusen, aber offensichtlich in mühevoller Arbeit aus Eigenhaar gefilzt wurde.
Anscheinend gilt für die Bewohner dieselbe Kleiderordnung wie für Helge Schneider, denke ich, aber wie sich herausstellen wird, gilt die überall in der Branche: Behinderte sind so anzuziehen, dass man sie schon von Weitem als Bekloppte erkennt. Das kommt noch aus dem Mittelalter und wurde eigentlich für Aussätzige erfunden, aber jetzt gilt es bloß noch für geistig Behinderte.
Noch später werde ich herausfinden, dass es ganz und gar unmöglich ist, Menschen mit der unbändigen Willenskraft einer Milva, denn so heißt die kleine Frau, in Modefragen zu beraten.
Hinter der Frau liegt das Wohnzimmer und dort sitzt bestimmt jemand, der hier arbeitet, vermute ich, weil ein Fernseher durch die geschlossene Tür dröhnt. Jetzt heißt es pädagogisch handeln, beschließe ich und biete der kleinen Frau eine Zigarette an, damit sie mich durchlässt. Für eine halbe Schachtel darf ich schließlich passieren, ohne aufwischen zu müssen.
Auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzt ein sehr kleiner Mann mit Glatze und lächelt einen Keks an. Daneben brüllt der Fernseher, wird aber nicht beachtet. Ich frage den Mann, ob er hier arbeitet, doch statt zu antworten, bohrt er in der Nase und schmiert dann sehr langsam einen beachtlichen Popel auf seinen Keks. Eventuell ist er doch aus anderen Gründen hier. Ich stelle mich dem kleinen Mann vor, doch der sagt wieder nichts, lächelt weiter seinen Keks an, und als ich ihm die Hand geben will, legt er ihn da hinein.
»Ich vermute, das ist ein Zeichen großer Wertschätzung«, sage ich und der kleine Mann nickt. Dann lächeln wir beide den Popelkeks in meiner Hand an.
Ich habe soeben Bekanntschaft mit einem Zen-Meister gemacht, wird mir später bewusst werden, und er hat mich als seinen Schüler akzeptiert. Mein Zen-Meister heißt Günther und
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