Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
herumzuknutschen und irgendwann heute Nacht eventuell mit ihr im Bett zu landen.
Es ist ja nicht so, dass ich nicht wollte, rede ich mir ein, aber ich werde hier in einer wichtigen Mission gebraucht. Für einen winzig kleinen Moment glaube ich mir selber.
»Scheißegal, ich tue es trotzdem«, sage ich, das Mädchen schaut mich verwundert an, aber dann nickt sie und klärt mich über den Verschwundenen auf. Georg-Friedrich ist Autist und mag Reggae, weil er so eintönig ist. Er zählt gerne Dinge und wird ungern angefasst.
Ich schlage vor, ihn von den Ordnern suchen zu lassen, aber das lehnt sie ab.
»Das würde ihn furchtbar stressen, wenn da so ein völlig Fremder auf ihn zukommt.«
»Aber mich kennt er doch auch nicht.«
»Ja, aber du siehst irgendwie ungefährlich aus.«
Ein nicht ganz unproblematisches Kompliment, finde ich. Bernd und der Punk haben sich ineinander verkrallt und rollen über den Boden. Ich gehe hin, um die beiden auseinanderzureißen und um das Kompliment der Ungefährlichkeit auszuräumen, aber Bernd verbittet sich kichernd jede Einmischung.
Er ist allerbester Laune, obwohl er zweifellos den Kürzeren ziehen wird.
»Fertig?«, fragt das Mädchen. »Ich heiße übrigens Sarah.«
»Ja«, sage ich und bekomme noch mit, wie Bernd einen fiesen Haken kassiert.
Wir finden Georg-Friedrich schließlich auf dem Parkplatz vor der Halle – vertieft in ein Gespräch mit einem der Cannabis-Dealer, die hier draußen ihre Depots haben. Der Dealer erzählt heftig und Georg-Friedrich nickt ebenso heftig. Er sieht ein bisschen aus wie Eugen Drewermann, trägt Bundfaltenhosen und ein fest am Hals zugeknöpftes Karohemd. Der Dopedealer dagegen sieht aus wie ein Dopedealer.
»Weißte«, sagt der Dealer gerade, »und dann hab ich angefangen, Dope zu verkaufen. Ist eigentlich ganz o. k., man hat viel mit Menschen zu tun und verdient sogar ganz gut, und wenn man ein bisschen vorsichtig ist, bekommt man auch keine Probleme. Ist ja nicht so, als würde ich durch die Gegend rennen und rufen: Hey, guckt mal, ich bin Dealer.« Da irrt er sich, der ganze Parkplatz weiß mittlerweile Bescheid.
Georg-Friedrich nickt und macht ein beflissenes Gesicht. Das mit dem Gesicht ist ein Trick, erfahre ich später, denn je weniger sich Georg-Friedrich in der Lage sieht, mit seinem Gegenüber zu kommunizieren, desto verständnisinniger wird sein Gesichtsausdruck. Er glaubt, man lasse ihn dann in Ruhe.
»Aber irgendwas fehlt in meinem Leben. Ich muss irgendwas Sinnvolles tun. Sowas Soziales wäre gut für mich. Oder Umweltschutz oder so.«
Drewermann nickt und seufzt leise. Der Dealer hält das für Zustimmung.
»Mann«, sagt er, »ist geil, mit dir zu reden«, und klopft dem Autisten ohne Vorwarnung auf die Schulter.
»Scheiße!« sagt Sarah, als Georg-Friedrich die Arme hochreißt, wie zur Salzsäule erstarrt stehenbleibt und einen dünnen Schrei loslässt. Es ist eigentlich kein Schrei, eher ein mechanisch klingendes akustisches Warnsignal, das sich langsam zu einer apokalyptischen Teekesselpfeife steigert.
Mittlerweile hat das Duo die ungeteilte Aufmerksamkeit des ganzen Parkplatzes, auf dem sich eine interessante Mischung aus erfolglosen Schwarzmarkthändlern, Cannabis-Dealern, Polizisten in Zivil und klammen Reggaeenthusiasten versammelt hat, die, wenn nicht zum Konzert selber, doch wenigstens in dessen Nähe gelangen wollten.
»Psycho oder was?« flucht der Dealer und reckt ebenfalls die Arme. »Ich hab nichts gemacht, der ist einfach ausgetickt. Wahrscheinlich was eingeworfen, aber nichts von mir, ehrlich.«
Einige seiner Kunden ergreifen Partei und diskutieren seine Produkte. Ein Zivilbulle im Bob-Marley-T-Shirt nähert sich.
Als Georg-Friedrich Sarah sieht, wird sein Schreien etwas leiser, die Arme lässt er aber sicherheitshalber oben. Ich stehe etwas hilflos herum, während sie den fiependen Mann mit möglichst wenig Körperkontakt in eine ruhige Ecke lotst, und frage deswegen, ob ich lieber gehen soll.
»Bleib ruhig noch ein bisschen, wenn’s geht«, bekomme ich zur Antwort. Jetzt merke ich erst, wie nervös sie ist. Georg-Friedrich ist aber offensichtlich noch viel nervöser, er tapert im Kreis herum, wackelt rhythmisch mit dem Oberkörper und vollzieht immer wieder dieselben Gesten mit seinen Händen.
»Das ist gut«, erklärt mir Sarah nach einer Weile.
»Das ist gut?«
»Ja, er beruhigt sich langsam.«
Ich betrachte den Mann, der aussieht, als würde er ein kompliziertes höfisches
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