Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
»Schade, war ein geiles Konzert. Machen wir noch was?«
Und das werden wir dann auch.
Ich werde am nächsten Morgen neben ihr aufwachen, der Sex wird großartig gewesen sein, zumindest wird es Sex gewesen sein, die Sonne wird durch das Fenster ihres Wohnheimzimmers scheinen und ich werde Kaffee gemacht haben. Wir werden gemeinsam frühstücken und dann einen Sonntag aus dem Lehrbuch mit Picknick und allen Schikanen verbringen, aber durch das Bombardement von Hormonen und Serotonin und die quecksilbrige Erkenntnis, dass Glück möglich ist, wird leise, aber deutlich vernehmbar eine Stimme hindurchquäken: »Du gehörst hier nicht hin.«
Und als Carina im späten Nachmittagslicht ihre Lippen auf meine gedrückt haben wird und unsere Hände auf Genitaliensuche gegangen sein werden, werde ich meine Augen schließen und sofort wieder dieses seltsame rothaarige Mädchen vom Vorabend sehen.
Und als wir dann wieder miteinander schlafen – denn natürlich werden wir das –, wird es sein, als würde ich Sex mit zwei Frauen haben, mit der einen in der sichtbaren und dinglichen Welt und mit einer anderen in meinem Kopf. Und je näher wir uns zum Höhepunkt geschaukelt haben werden, desto wirklicher wird die Frau in meinem Kopf werden, bis ich schließlich »Sarah« stöhnen werde und die Frau aus der dinglichen Welt mich bloß deswegen nicht aus ihrem Bett werfen wird, weil ich ihre linke Brust im Mund habe, so dass ich bloß »Ara« genuschelt haben werde. Sie wird danach bloß kichern und mich nachäffend »Ara« gurgeln, von mir herunterrutschen, um schließlich mit ihrem Kopf an meiner Schulter einzuschlafen.
»Ich wiederhole mich nur ungern«, wird daraufhin die quäkende Stimme sagen. »Aber …«
»Ich weiß«, werde ich antworten und traurig sein, denn beinahe wäre alles gut gewesen.
Carina. Ich. Die Welt.
Happiness is a warm gun. Von wegen.
Wir werden aufstehen und uns anziehen, und womöglich wird Carina dieselbe Stimme gehört haben, denn als wir uns verabschieden und uns versichern, uns ganz bald wiederzutreffen, wird es das letzte Mal gewesen sein, dass wir uns gesehen haben.
Und deswegen sagen wir beide gleichzeitig: »Mach’s gut«, und dann gar nichts mehr.
Und als ich in dieser Mischung aus Euphorie und Niedergeschlagenheit durch den Stadtwald ins Tal marschiere, treffe ich eine Entscheidung: Ich werde nach Sarah suchen. Im Behindertenbusiness. Mehr weiß ich schließlich nicht von ihr.
7 Ich soll für eine Gruppe Superhelden arbeiten, die zur Tarnung in einer Wohngemeinschaft für Menschen mit geistiger Behinderung haust und die Welt retten oder wenigstens möglichst viel Quatsch machen soll, wo sie schon mal hier ist. Das behauptet wenigstens Tante Matthes, aber der spinnt in letzter Zeit mehr als üblich.
Er ist in den Innendienst versetzt worden, weil er seinen Dienstwagen kaputtgefahren hat, außerdem ist Priscilla nach Frankreich weitergereist und das tut ihm alles nicht gut. Er wird langsam noch verrückter als Oma Wittrich. Die beiden verstehen sich allerdings immer besser, weil sie auf gleicher Wellenlänge sind. Sie hocken die ganze Nacht im Wohnzimmer und spielen Scrabble.
Vielleicht sind es aber auch Außerirdische, lautet eine andere von Tante Matthes’ Theorien. Außerirdische, die einen Erlebnisurlaub mit Vollpension auf der Erde gebucht haben. Was davon zutrifft, weiß ich noch nicht, aber ich bin ja auch erst seit fünf Minuten ihr Zivildienstleistender.
Beziehungsweise stehe ich immer noch vor der geschlossenen Tür und werde von jemandem ausgefragt, der sich als Leiter der Einrichtung ausgibt und dessen Auge man vergrößert hinter dem Türspion sehen kann. Er will wissen, ob ich Udo Jürgens mag, gerne Bier trinke, ob ich welches dabeihabe oder wenigstens Zigaretten und wie das Passwort heißt.
Neben der Tür hängt ein Gebilde aus Salzteig, es ist knapp zwei Quadratmeter groß und dem Neo-Dadaismus zuzurechnen, außerdem trägt es Bissspuren am rechten Rand. In den Teig sind Muster aus Hülsenfrüchten gedrückt, die sich mit etwas Phantasie zu Worten verbinden, die wiederum entfernt an Vornamen erinnern. Über das ganze Gebilde hat jemand mit einem dicken schwarzen Edding »Horsti« gekritzelt. Ich beschließe deswegen, dass das Passwort »Horsti« lauten muss. Es stimmt.
Die Tür fliegt auf und ein Mann von der Konsistenz eines Wackelpuddings wuppt heraus, fällt mir in den Arm und brüllt jubelnd »Horsti«. Er ist einen Kopf größer als ich, trägt einen
Weitere Kostenlose Bücher