Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
Zivi auf Selbsterfahrungstrip bin, bekomme ich todsicher aufs Maul. Das riecht man.
Motorradunfall klingt zwar plausibel, aber dann müsste ich mit den Jungs über Typen und Motoren fachsimpeln und würde sofort als Hochstapler auffliegen. Ich könnte natürlich die Treppe heruntergefallen sein, aber das ist mir irgendwie zu unspektakulär. Man hat schließlich nicht jeden Tag Gelegenheit, Mitbürger aus den neuen Ländern nach Strich und Faden zu belügen, man ist ja nicht die Treuhand. Da will man schon ein bisschen was hermachen.
Die beiden gucken mich gespannt an.
»Kriegsverletzung«, höre ich mich schließlich sagen.
Großartige Idee. Jetzt gibt’s ganz sicher aufs Maul. Was Bescheuerteres kann man sich nicht ausdenken, das glauben sie mir nie.
»Echt?«, fragt Malschowski mit großen Kinderaugen. Er ist noch doofer als angenommen.
»Ja. Bosnien.«, entgegne ich knapp.
»Warste beim Bund?«
Das wird ja immer besser. Die beiden haben überhaupt gar keine Ahnung.
»Nee, Fremdenlegion«, sagt mein Mund. Natürlich. Wenn schon Militär, dann aber auch richtig.
Arglose Menschen bringen stets meine schlimmsten Charaktereigenschaften zum Vorschein: Ich lüge wie gedruckt und genieße es auch noch. Wenn es einen Gott gäbe, würde er mir den Malschowski schicken, dass er mir dafür aufs Maul haut, aber der nickt bloß beeindruckt.
Die beiden haben es sich zu meinen Füßen bequem gemacht, trinken mein Bier und schauen mich an wie Kinder den Weihnachtsmann, bevor sie herausbekommen haben, dass der bloß ihr Onkel ist. Natürlich will ich heldenhaft auf Seiten der Unterdrückten gekämpft haben und erzähle deswegen Folgendes:
»Es war in Sarajevo, Ende 1993. Wir lagen in der ausgebrannten Ruine eines Kaufhauses, um uns herum Berge von angesengter Damenunterwäsche, auf der Straßenseite gegenüber mordlustige Tschetniks, die sich zum Sturm bereitmachten.«
Damenunterwäsche? Tschetniks? Das ist doch krank. Was kommt als Nächstes? Das hier:
»Nur ein paar Sandsäcke in den Fensterhöhlen schützten uns vor dem mörderischen Feuer ihrer Bazookas. Mein Kamerad Sassari, der zur Legion gegangen war, weil er auf Sardinien in eine Blutrachegeschichte verwickelt war, lag neben mir. Ein Römer hatte mit seiner Schwester geschäkert, da hat er ihm die Kehle durchgeschnitten, das hat er sich nie verziehen», erkläre ich Sassaris Vorgeschichte. Diese Stelle ist natürlich bei Asterix geklaut, aber Malschowski und Pinscher sind mit DDR – Comics aufgewachsen und merken nichts.
»Eine Kugel hatte Sassaris Oberschenkel durchschlagen«, fahre ich fort, »aber er kämpfte mit zusammengebissenen Zähnen weiter. Unsere Munition ging zur Neige, Sassaris Kalaschnikow klemmte und er feuerte bloß noch aus einer alten Mauser, die ihm ein bosnischer Hirte geschenkt hatte, weil wir seine Tochter aus den Händen der Serben befreit hatten.«
Natürlich muss ich auch noch die Jungfrau vor dem Drachen gerettet haben. Wenn ich das hier überlebe, werde ich mich sofort in psychiatrische Behandlung begeben oder zumindest aufhören, Landserheftchen zu lesen. Wieso habe ich eigentlich den Kriegsdienst verweigert?
»Wir beide wussten, es würde unser letztes Gefecht werden«, sage ich und Malschowski schluckt.
»Die Tschetniks grölten, dass sie mit unseren Köpfen Fußball spielen würden, und nahmen uns unter Dauerfeuer. Das würden wir keine zehn Minuten überleben.«
Ich schaue hoch zum Dom, der sich schwarz und unbeeindruckt über unseren Köpfen erhebt. Das einzig Richtige wäre, sofort aus dem Rollstuhl zu springen und Fersengeld zu geben, aber mein linkes Bein ist eingeschlafen, weil es sich schon vollständig mit seiner Invalidenrolle identifiziert hat, außerdem will ich wissen, wie die Geschichte ausgeht.
»›Für mich ist die Reise hier zu Ende‹, sagte Sassari plötzlich, als uns eine gegnerische Salve um die Ohren pfiff. ›Aber du, du bist noch jung. Du hast dein Leben noch vor dir.‹«
Malschowski hat jetzt Tränen in den Augen, der Pinscher winselt fast. Wenn ich jetzt noch eine Trompete hervorzöge und »Ich hatt’ einen Kameraden« spielte, würden die beiden vor Rührung zerfließen.
Ich mache eine Kunstpause und blicke Malschowski lange an, mittlerweile habe ich gar keine Skrupel mehr. Den bring ich zum Heulen, beschließe ich. Aber sowas von.
»›Geh jetzt‹, sagte Sassari, als die Serben ins Untergeschoss eindrangen. Ich wollte widersprechen, doch mein Kamerad legte mir seinen Finger auf die
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