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Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Titel: Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Bartel
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sehr naiv in seinem Zynismus und deswegen mag ich ihn. Aber ich wäre nie so gemein, ihm das zu zeigen.
    Eigentlich hatte sich Rufus vom Dienst freistellen lassen wollen, aber ein Volontariat bei der Bild-Zeitung hatte dem Kreiswehrersatzamt als Begründung nicht gereicht. Entsprechend mies ist seine Laune.
    Also muss ich mich allein durchschlagen. Ich bin also mit meinem Rollstuhl, nachdem mich zwei ältere Damen aus dem Zug gewuchtet haben, weil die Rollstuhlfahrerplattform defekt war, an die Treppenkante gefahren, habe mir eine Dose Bier aufgerissen und Passanten beschimpft, damit sie mich hinuntertragen. Schließlich sollen wir Belege für die Behindertenfeindlichkeit unserer Gesellschaft sammeln, die morgen in einer Diskussionsrunde aufgearbeitet werden sollen, und da sollte man der Gesellschaft schon was bieten, finde ich.
    »Na, Meester, wo soll’t denn hinjehn?«, berlinert es hinter mir, und als ich mich mit dem Stuhl umdrehen will, verliere ich das Gleichgewicht am Treppenabsatz, so dass nur der Einsatz zweier prächtig tätowierter Arme die drohende Karriere als real Querschnittsgelähmter verhindert.
    »Ma richtig steil unterwegs, der Kollege«, befindet eine Stimme, die klingt, wie die Arme aussehen. Sie gehört einem Fleischberg in Uniform, deren Namensschild ihn als Rekruten Malschowski ausweist. Neben ihm steht ein Rehpinscher von ahnungsweise menschlicher Gestalt, dessen einziger Daseinszweck es zu sein scheint, die weisen Sentenzen des Malschowski bekräftigend zu verdoppeln. »Steil unterwegs, der Kollege«, wiederholt also der ebenfalls uniformierte Pinscher und kichert.
    »Lass ma Vattern machen«, grunzt das Ungetüm, und Pinscher sekundiert: »Vattern macht det schon.«
    Dann wuppt mich Private Malschowski, der stämmige Stolz der ganzen Kompanie, mühelos aus dem Stuhl, wirft mich über die Schulter, während sich Pinscher erstens mein Bier und zweitens meinen Rollstuhl samt Rucksack schnappt.
    »So, Meester, det macht achtfuffzich«, verkündet Malschowski, als er mich unten umstandslos in den Stuhl zurückplumpsen lässt. »Bier jeht aufs Haus«, keckert Pinscher in bemerkenswerter Eigenleistung.
    »Nur Spaß«, brüllt Malschowski, schielt jedoch gierig nach meinem Rucksack, in dessen ausgebeulten Seitentaschen sein Kennerauge richtigerweise weitere Bierdosen vermutet.
    »Wir trinken erstmal einen zusammen«, sagt er deswegen und schiebt mich Richtung Ausgang.
    Die beiden stellen mich auf dem Bahnhofsvorplatz unter einer Laterne ab, setzen sich auf den Mülleimer daneben und fleddern ungeniert meinen Rucksack.
    »Find ick jut von dir«, meint Malschowski immerhin, als sich seine Pranken um die zarten Dosen schließen. »Det is jewissermaßen Bejrüßungsbier.«
    Die beiden Vaterlandsverteidiger stammen aus Brandenburg, erzählen sie, wo sie neuerdings als Panzergrenadiere der Bundeswehr wirken, es ist ihr erster Besuch im Westen, und einen Fremdenführer haben sie auch schon gefunden: mich. »Wir machen richtig eenen druff«, kommandiert Malschowski.
    Malschowski, Vorname Rocco, wird sich nach seinem Wehrdienst als Berufssoldat verpflichten, von einem sozialdemokratischen Kanzler an den Hindukusch geschickt werden, dort mit einem schlecht gepanzerten Fahrzeug in eine Sprengfalle fahren, ein Bein verlieren und selbst Rollstuhlfahrer werden, aber noch ist Helmut Kohl Kanzler aller Deutschen, die Wiedervereinigung ist gerade mal ein paar Jahre alt und Malschowski steht fröhlich vor mir, legt mir die Pranke auf die Schulter und verlangt treuherzig zu wissen, was denn passiert sei.
    »Was soll denn passiert sein?«, frage ich, und er zeigt auf den Rollstuhl.
    »Ach das«, sage ich und gucke ihn traurig an, um Zeit zu gewinnen.
    Wenn ich jetzt sage, dass ich angehender Zivi auf Selbsterfahrungstrip bin, bekomme ich todsicher aufs Maul. Das riecht man.
    Motorradunfall klingt zwar plausibel, aber dann müsste ich mit den Jungs über Typen und Motoren fachsimpeln und würde sofort als Hochstapler auffliegen. Ich könnte natürlich die Treppe heruntergefallen sein, aber das ist mir irgendwie zu unspektakulär. Man hat schließlich nicht jeden Tag Gelegenheit, Mitbürger aus den neuen Ländern nach Strich und Faden zu belügen, man ist ja nicht die Treuhand. Da will man schon ein bisschen was hermachen.
    Die beiden gucken mich gespannt an.
    »Kriegsverletzung«, höre ich mich schließlich sagen.
    Großartige Idee. Jetzt gibt’s ganz sicher aufs Maul. Was Bescheuerteres kann man sich nicht

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