Betrügen lernen
Monaten in Kanada landen und sich dort in den Wäldern eine Hütte bauen und als Selbstversorger leben, bis er die Antworten auf ein paar ganz grundsätzliche Fragen gefunden hat. Das kann dauern, auch wenn Alex sich fragt, worüber Martin die gan ze Zeit nachgedacht hat, in der er bisher schon nichts gesagt hat.
»Wo kann ich Martin finden, wo baut er sein Boot?«, unterbricht Alex Dorothees Redeschwall.
Schlechtes Programm
Wir sind uns schon lange nicht mehr näher gekommen. Kein Begrüßungskuss, kein Händchenhalten, kein Aneinanderkuscheln abends. Ich habe Clara das letzte Mal berührt – und zwar an der Hand –, als ich ihr vor ein paar Tagen die Einkaufstasche abnahm. Auch jetzt beim Frühstück deutet nichts darauf hin, dass es heute anders sein wird. Ich habe zwar gestern im Institut umfangreiche Statistiken über die Wollustgefühle im Schlaf von Menschen und Menschenaffen gelesen und trage sie jetzt Clara vor. Sagenhaft. Bis zu 27 sexuelle Fantasien spielen sich nachts ab, nicht nur bei Männern, auch bei Frauen. Ich erwähne beiläufig diese interessanten neuen Forschungsergebnisse, aber Clara reagiert nicht besonders empathisch darauf, sondern köpft mit einem satten Schlag ihr Ei.
Abends liegt irgendetwas in der Luft. Clara hat Papierkram erledigt und ein bisschen gelesen. Ich will Papierkram erledigen und ein bisschen lesen. Ich habe dann aber doch einen deutschen Krimi mit deutschen Schauspielern, der in Italien spielt, im Fernsehen angeschaut. Das ist lächerlich, denn die deutschen Schauspieler wirken wie schlecht gecastete Urlauber, die zufällig in eine italienische Klischeeszenerie geraten sind. Jeder Besucher eines Cafés wirkt authentischer als diese Hauptdarsteller, die versuchen, bewusst cool und lässig zu sein, was aber besonders danebengeht.
Sogar die Komparsen in »Pippi in Taka-Tuka-Land« sehen echter aus. Teile dieses Films, besonders die Strand- und die Bootsszenen, wurden auf Barbados gedreht, und erst vor Ort in der Karibik fiel den Regisseuren auf, dass sie viel zu wenige hellhäutige Statisten dabeihatten, die aber für die Besatzung der Piratenschiffe nötig gewesen wären. Deshalb wurden einige europäische Touristen aus den umliegenden Hotels gefragt, ob sie kleinere Rollen in dem Pippi-Film übernehmen könnten. Die Urlauber waren froh über die Abwechslung und spielten begeistert mit, der Legende nach waren sogar einige Millionäre darunter.
Meine Unzufriedenheit und meinen Selbsthass kann ich am besten steigern, wenn ich im Fernsehen einen schlechten Film ansehe und mich die ganze Zeit darüber ärgere, wie furchtbar schlecht der Film ist, aber trotzdem nicht ausschalte. Irgendwann weicht der Ärger über den Film dem Ärger über meine fehlende Entschlossenheit, dem gruseligen TV-Erlebnis ein Ende zu setzen. Ich verfalle dann in eine allgemeine Larmoyanz über mich, den Niedergang der Fernsehunterhaltung, tadele mich wegen meines selbst von grottenschlechter Filmqualität nicht zu erschütternden Konsumverhaltens und überlege, wie vielen sinnvollen Tätigkeiten ich in dieser Zeit nicht nachgegangen bin. Will ich mich runterziehen, muss ich nur lange genug Schrott im Fernsehen anschauen.
Der Film neigt sich seinem erwartbaren Ende zu, da verkündet Clara beiläufig aus ihrem Arbeitszimmer, dass sie jetzt ins Bett geht. Ich weiß, dass sie es gar nicht mag, wenn ich mich ihr sofort anschließe und hinterherpirsche. Sie denkt dann, ich warte nur darauf, bis ich mich an sie ranrobben kann. Also schalte ich um zum Bildschirmtext, merke mir die Uhrzeit und beschließe, ihr maximal zehn Minuten Vorsprung zu geben. Wenn ich mein Zu-Bett-geh-Zeremoniell zu früh einleite und auch schon mit dem Zähneputzen beginne, während sie noch damit beschäftigt ist, beschwert sie sich meistens, dass sie nirgendwo etwas Zeit für sich haben könne und nicht mal im Bad ungestört sei.
Zehn Minuten später ist der schlechte Krimi zwar noch immer nicht ganz vorbei, aber ich weiß, dass der Commissario die gemeinen Erpresser und Frauenhändler schon bald kriegen wird und seine eigene Frau, die er immer wieder versetzt hat, ihm spätestens in der Schlussszene verzeihen wird, denn was sind schon die enttäusch ten Erwartungen einer Ehefrau gegen den unermüdlichen Kampf gegen das organisierte Verbrechen.
Ich schalte den Fernsehapparat also vor Ende des Films aus und schleiche mich ins Badezimmer. Ich beeile mich mit dem Zähneputzen und erwische Clara noch lesend. Glück gehabt. Sie hat
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