Betrügen lernen
reden soll. » Ich muss nicht lauter reden, du musst zum Ohrenarzt«, entgegnet sie ihm dann giftig.
Stefan hat hingegen schon resigniert. Seine Frau ist ziemlich anglophil und auch sonst eine verblasene Zicke. Sie hat mal ein Jahr in Australien an einer Universität unterrichtet. Sobald sie ihn im Badezimmer sieht, schaut sie in den Spiegel und wirft ihm jenen Merksatz entgegen, der auf jedem Autorückspiegel im englischsprachigen Raum angebracht ist: »Objects in the mirror are closer than they appear.« Das klingt zwar wahnsinnig geistreich und weltläufig, aber er weiß, dass es auch nichts anderes bedeuten soll als die unmissverständliche Aufforderung: Verpiss dich, ich will allein sein.
Bauch, Beine, Po
Mir bereitet die Auswahl der richtigen Accessoires viel Mühe. Ich bin der Überzeugung, dass es eigentlich am Morgen danach notwendig ist, in Boxershorts vor dem Spiegel im Bad zu stehen und sich in Ruhe nass zu rasieren. Irgendwann würde mir dann der Kaffeeduft in die Nase steigen, und sie würde barfuß und nur mit einem an den Armen hochgekrempelten und weit aufgeknöpften Bürohemd von mir bekleidet ins Bad kommen. Sie würde mir von hinten um den Bauch fassen, was mich aber nicht aus der Ruhe bringen würde, da ich ja gerade dabei wäre, mir konzentriert ein paar Stoppeln von der Wange zu kratzen.
Das Problem daran ist: Ich mag keine Boxershorts, und ich bevorzuge Elektrorasierer. Aber ohne diese romantische Vorstellung vom Morgen danach lassen sich Frauen wie Clara offenbar auch nicht auf den Abend davor ein.
Was soll ich tun, ich will ja authentisch bleiben. Was die Unterhosen angeht, baumelt mir in Boxershorts entschieden zu viel hin und her. Das stört. Ich mag die klassische, eng anliegende Variante, und ehrlich gesagt kenne ich keinen einzigen Mann, der im Alltag gerne weite Boxershorts trägt. Vielleicht ziehen sie welche an, wenn sie auf die Pirsch gehen, das kann sein. So ähnlich ist das auch mit den Schlafanzügen. Natürlich sehen Pyjamas, klassisch geschnitten und vorn mit einer Knopf leiste, besser aus. Aber ich finde nun mal diese Frotteeschlafanzüge mit den mehrfarbigen Mustern und Motiven viel kuscheliger, weil die Knöpfe an den Pyjamas immer drücken, erst recht, wenn man schon Ende 30 ist.
Für die Nassrasur ist mein Gesicht einfach nicht geeignet. Der Bereich zwischen Mund und Nase, dort, wo die peinlichen Oberlippenbärte wachsen, ist bei mir besonders empfindlich. Mit einem Nassrasierer kann ich da nicht ran, das geht nur mit einem sanfteren Elektrogerät. Obwohl die Rasiererindustrie jedes Jahr eine neue technische Revolution ausruft, sodass man das Gefühl hat, sich bisher mit einem stumpfen Gurkenhobel im Gesicht herumgeschabt zu haben, ist die Entwicklung noch nicht weit genug – zwischen Mund und Nase tut es mir immer noch höllisch weh. Aber kann das der Grund dafür sein, dass Clara und ich nicht öfter zueinanderfinden?
Ich habe Clara sogar schon dieses Liebe-dich-selbst-Buch geschenkt. Wenn man mit sich im Reinen, ausgeglichen und zufrieden ist, kann man auch mit einem Mülleimer zusammen sein und wird Befriedigung in der Partnerschaft finden, lautet die Botschaft dieses Werkes, wenn ich es richtig verstanden habe. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob das eine so gute Idee ist für mein eigenes Selbstverständnis. Schließlich haben Clara und ich uns ja gefunden, weil wir uns so besonders finden und nicht weil ich mich für austauschbar halte und im Zweifel auch jeder Mülleimer meine Position einnehmen könnte.
Nicht einmal von der Wissenschaft lässt sie sich überzeugen, obwohl sie Medizinerin ist. Es wird viel geschrieben über das Kuschelhormon Oxytocin. Ich finde die Theorie sehr überzeugend, wonach häufige Nähe und Sexualität hormonell und neurobiologisch die Wege der Liebesmoleküle bahnen und dass es daraufhin eine Sehnsucht nach noch mehr Nähe und Sex gibt. Wenn ich diese molekularen Türöffner doch nur gezielt bei ihr anregen könnte, dann würde sich ein Wasserfall der Liebe und der Zärtlichkeiten über mich ergießen, vor dem ich mich kaum noch retten kann. Es geht ja nur um den Anfang. Gibt es Oxytocin nicht auch als Nasenspray?
Doch weder das Liebe-dich-selbst-Buch noch die Hormonartikel, die ich für sie kopiert habe, hat Clara gelesen. Auch meinen Lebensmittelampel-Vorschlag mit den Rot-, Gelb- oder Grün-Empfehlungen für unsere Annäherungen will Clara nicht aufgreifen, dabei ist der doch wirklich verbraucherfreundlich.
Ich habe mir
Weitere Kostenlose Bücher