Betrügen lernen
war.
Sie weiß nicht, wie, aber irgendwie ist sie in Alex’ Arbeitszimmer gelangt. Sie steht vor den Bücherwänden und betrachtet versonnen die Penisrohre, die er aus Südostasien mitgebracht hat und die an den Seitenständern hängen. Auf dem Schreibtisch herrscht Alex’ übliches Durcheinander: Papierstapel, Bücher, Fachaufsätze, eigene Notizen, nicht mehr funktionierende Kugelschreiber, dazwischen zerknitterte Spesenbelege, unbezahlte Rechnungen und diverse Mahnungen, die Steuererklärung endlich abzugeben. Ihr Blick fällt auf ein paar Zettel mit handgeschriebenen Zeilen. Was ist das denn? Schreibt Alex etwa Gedichte? Der Zettel ist schon ziemlich zerknittert und schwer zu entziffern, aber einige Worte kann Clara dann doch erkennen:
»O Brüstchen, du bezeugst der Welt,
Wie’s um den ganzen Leib bestellt,
Wenn man dich sieht, zuckt ein Gelüst
In jede Hand, die männlich ist.«
Clara hat das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Gleichzeitig ist sie gerührt von der einfühlsamen Sanftmut und poetischen Empfindsamkeit, die aus diesen Zeilen spricht. Ihr Alex, was sie alles nicht von ihm weiß!
»Er schreibt Gedichte, er besingt meinen Körper, wie süß – und ich habe ihn manchmal so schlecht behandelt und so grob abgewiesen.« Sie sagt das zu sich selbst, und ein Gefühl der Zärtlichkeit und Zuneigung überkommt sie. Am liebsten würde sie Alex sofort umarmen. Jetzt. Wenn er doch nur hier wäre! Dass er so sensibel ist. Dass er neben seiner Forschung und den vielen Vorträgen auch noch die Zeit hat, seine Gefühle in empfindsame Worte zu kleiden. Offenbar ist ihm das außerordentlich wichtig. Wenn er doch nur mehr mit ihr gesprochen hätte, wie viel Streit und wie viel unfruchtbare Auseinandersetzungen hätten sie sich ersparen können.
Clara traut sich nicht, erneut über seinen Schreibtisch zu schauen, sie möchte nicht weiter eindringen in die Welt dieses empfindsamen Mannes, der ihr so nah ist, aber von dem sie doch so vieles nicht weiß. Es kommt ihr so vor, als hätte sie seine fragile Welt bereits ein bisschen zerstört, seinen Rückzugsort, so wie ein neugieriges Kind, das mit einem Stock ein Spinnennetz zerreißt.
Das Telefon klingelt im anderen Raum. Wenn das Alex aus Paris ist, wird sie ihm sofort sagen, wie sehr sie ihn vermisst und dass sie unbedingt noch mal miteinander einen Neuanfang versuchen müssen, dass es nicht einfach mit ihr ist, sie weiß es ja, aber dass jetzt alles anders wird und er ein Schatz ist und die Kinder so wunderbar sind und dass sie sich auf ihn freut und sie am Wochenende gleich ganz lange etwas für sich machen müssen. Das muss Gedankenübertragung sein.
»Hallo Clara, ich bin’s«, sagt eine vertraute Stimme.
»Nein, bitte nicht! Das darf nicht wahr sein!« Clara winselt um Gnade. »Lass es bitte einen Albtraum sein.«
So geht das nicht weiter. Dorothee hat das einmalige Talent, zum falschesten Moment mit den falschesten The men aufzukreuzen. Zudem besitzt sie die Eigenheit, nie zu erkennen, wann sie stört und wie sehr sie stört – nicht mal dann, wenn man es ihr in aller Deutlichkeit sagt. Sie hat in etwa die Sensibilität eines Zahnarztbohrers, unerbittlich fräst sie sich in ihre Umgebung hinein, immer tiefer und immer mit hoher Rotation.
»Was ist denn los, habe ich dir etwas getan?« Für einen Moment ist auch Dorothee aus der Fassung. »Wir sind doch Freundinnen, wir können doch immer über alles reden.«
»Eben nicht, das ist es ja gerade.«
»Du hast was auf dem Herzen, ich spüre so etwas. Lass es raus, dann fühlst du dich besser.«
» Was willst du? Ich bin gerade nicht in der Stimmung, um dir von meinen Befindlichkeiten zu erzählen!«
»Okay, du hast recht. Solche Phasen kenne ich. Dann erzähle ich zuerst von mir. Dazu sind ja Freundinnen da. Du hast ja keine Ahnung, wie es mir gerade geht. Mein Herz macht Stabhochsprung.«
Clara beißt in die kleine Bambusmatte, die unter dem Telefon auf der Kommode liegt. Sie versucht sich zu erinnern, wie sie Dorothee damals kennengelernt hat. Man kann sich ja nicht nur von Partnern und Liebschaften trennen, sondern auch Freundschaften aufkündigen.
»Clara, ich erzähle dir jetzt was ganz, ganz Wunderschö nes.« Dorothee plappert einfach weiter, ohne Erbarmen. Hat sie eigentlich gehört, was Clara gerade gesagt hat?
»Es geht auch ganz schnell. Du wirst nicht darauf kommen, aber ich muss es dir unbedingt sagen, sofort.«
Bevor Dorothee wieder ihre bedeutungsschwangeren Pausen einlegen
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