Betrug und Selbstbetrug
Leben bewusst. Wenn ich etwas Persönliches äußere – ob negativ oder positiv –, verlege ich es weiter in die Vergangenheit, als wollte ich nichts Privates über mein derzeitiges Ich offenbaren; besonders ausgeprägt ist der Effekt aber bei negativen Informationen – es war ein früheres Ich, das so gehandelt hat.
Wenn Menschen aus ihrem eigenen Leben berichten sollen, wie sie geärgert wurden (Opfer) oder andere geärgert haben (Täter), kristallisiert sich eine Reihe krasser Unterschiede heraus. 19 Der Täter beschreibt das Ärgern anderer in der Regel als sinnvoll und nachvollziehbar, Opfer dagegen stellen ein solches Ereignis meist als willkürlich, unnötig oder unverständlich dar. Opfer erzählen häufig eine lange Geschichte und betonen dabei anhaltenden Schaden und Kummer, während Täter ein willkürliches Einzelereignis ohne langfristige Folgen schildern. Diese Asymmetrie zwischen Opfer und Täter geht noch weiter: Wenn das Opfer den Ärger über eine Provokation unterdrückt, um später nach einer Anhäufung solcher Übergriffe zu reagieren, sieht der Täter nur das letzte, auslösende Ereignis und bewertet die wütende Reaktion des Opfers dann häufig als ungerechtfertigte Überreaktion.
Darüber hinaus gibt es die sogenannten falschen inneren Erzählungen. Die Wahrnehmung der eigenen Motivation wird unter Umständen derart verzerrt, dass die wahren Antriebskräfte vor anderen verborgen bleiben. Bewusst geht uns im Zusammenhang mit Handlungen vielleicht eine Reihe von Begründungen durch den Kopf, und wenn die Handlung in Frage gestellt wird, steht uns dann sofort eine überzeugende Erklärungsalternative einschließlich des dazugehörigen inneren Szenarios zur Verfügung – »aber das habe ich überhaupt nicht gedacht; ich dachte vielmehr …«
Unbewusste Module im Dienste der Täuschung
Im Laufe der Jahre habe ich herausgefunden, dass ich ein Gelegenheitsdieb bin. Ich stehle in Gegenwart anderer kleine Gegenstände. Ich klaue Kugelschreiber und Bleistifte, Feuerzeuge und Streichhölzer sowie andere nützliche Dinge, die man leicht in die Tasche stecken kann. Während ich es tue, bin ich mir dessen (genau wie meist auch mein Gegenüber) überhaupt nicht bewusst, und das, obwohl ich mich mittlerweile schon seit mehr als 40 Jahren so verhalte. Vielleicht liegt es daran, dass es sich um ein so unbewusstes Merkmal handelt, aber in jedem Fall scheint es ein Eigenleben zu führen, und oftmals steht es anscheinend sogar meinen eigenen unmittelbaren Interessen entgegen. Während eines Vortrages stehle ich mir selbst die Kreide, und dann habe ich keine Kreide mehr, mit der ich etwas an die Tafel schreiben könnte (und zu Hause habe ich keine Tafel). Ich stehle Kugelschreiber und Bleistifte aus meinem Büro, nur um sie zu Hause wieder auszupacken – am nächsten Tag habe ich dann im Büro nichts zum Schreiben – und so weiter. Kürzlich habe ich einem Schulleiter in Jamaika den ganzen Bund mit Schulschlüsseln gestohlen, der zwischen uns auf dem Schreibtisch lag. Nutzlos für mich, aber enorm aufwendig für ihn.
Unter dem Strich sieht es so aus, als gäbe es in mir ein kleines unbewusstes Modul, das den Gelegenheitsdiebstählen gewidmet ist. Es ist so stark isoliert, dass Störungen laufender Tätigkeiten (beispielsweise des Sprechens) vermieden werden. Ich stelle mir ein winziges Lebewesen vor, das in mir sitzt und nach passenden Gelegenheiten Ausschau hält, auf den idealen Augenblick wartet, um sie zu ergreifen, den Rhythmus des tatsächlichen Diebstahls bestimmt und so weiter. Natürlich wird dieses Lebewesen das Verhalten meines Opfers studieren, es wird aber auch eine gewisse Zeit meinem eigenen Verhalten widmen müssen, um den Diebstahl möglichst gut zu organisieren und keine Verdachtsmomente aufkommen zu lassen. Mein kleines Modul hat interessante Merkmale: Mein diebisches Verhalten hat sich im Laufe meines Lebens kaum verändert, und obwohl es mir zunehmend bewusst geworden ist, hat diese Entdeckung mein Bewusstsein vor, während oder unmittelbar nach einem Diebstahl gar nicht oder nur geringfügig gesteigert. Außerdem scheint das Modul immer öfter querzuschießen, je älter ich werde. Übrigens kann ich mich nur an eine einzige Gelegenheit erinnern, bei der ich erwischt wurde, und zwar von meinem Bruder, der ein Jahr nach mir geboren ist – wir wuchsen fast wie Zwillinge auf und waren beide in der Lage, Täuschung beim jeweils anderen besser zu erkennen als sämtliche übrigen
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