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Betrug und Selbstbetrug

Betrug und Selbstbetrug

Titel: Betrug und Selbstbetrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Trivers
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dazu, in Zufallsdaten sinnvolle Muster zu sehen; es ist, als würden sie auf den unglückseligen Mangel an Kontrolle reagieren, indem sie in Daten (falsche) Zusammenhänge entdecken, die ihnen mehr Einfluss verschaffen könnten.
    Die Konstruktion einer verzerrten Gesellschaftstheorie
    Jeder von uns hat eine Gesellschaftstheorie, das heißt eine Theorie über unser unmittelbares soziales Umfeld. Wir haben eine Theorie über unsere Ehe. Mann und Frau sind sich zum Beispiel vielleicht einig, dass der eine ein ewig leidender Altruist ist, der andere dagegen ein hoffnungsloser Egoist, wobei aber Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, wer welche Rolle spielt. Wir alle haben eine Theorie über unsere Berufstätigkeit. Sind wir der ausgebeutete Arbeiter, dessen Leistung schlecht bezahlt und geringgeschätzt wird – und ist es deshalb gerechtfertigt, wenn wir unsere Produktivität so gering wie möglich halten und alles stehlen, was nicht niet- und nagelfest ist? In der Regel haben wir auch eine Theorie über unsere Gesellschaft als Ganzes. Eignen die Reichen sich auf ungerechte Weise einen immer größeren Teil der Ressourcen auf Kosten aller anderen an (was sicher bereits geschehen ist), oder leben die Reichen unter einem heimtückischen System von Steuern und Vorschriften? Schafft Demokratie die Möglichkeit, die Macht in regelmäßigen Abständen neu zu verteilen, oder ist sie im Wesentlichen ein Schwindel, der in Wirklichkeit den Interessen der Reichen dient? Bestehen in der Justiz regelmäßig Vorurteile gegen bestimmte Menschengruppen (Afroamerikaner, Arme, Einzelne im Vergleich zu Unternehmen)? Und so weiter. Die Fähigkeit, solche Theorien zu entwickeln, entstand in unserer Evolution vermutlich nicht nur zu dem Zweck, die Welt besser zu verstehen und Betrügereien oder Ungerechtigkeiten zu erkennen, sondern auch damit wir uns selbst und andere von falschen Realitäten überzeugen können, was uns selbst zugutekommt.
    Welche unbewusste Bedeutung eine verzerrte Gesellschaftstheorie hat, zeigt sich vielleicht am eindringlichsten, wenn Diskussionen einsetzen. Dass Streitigkeiten unter Menschen so wenig Mühe erfordern, liegt daran, dass die Arbeit zu Beginn der Diskussion schon erledigt ist. Es mag so aussehen, als würde die Debatte sich spontan entwickeln, wobei man ihren Verlauf kaum oder gar nicht vorhersehen kann, aber während sie abläuft, sind zwei ganze Informationslandschaften bereits gut organisiert und warten nur auf den Blitz der Wut, der sie offenlegt. Diese Landschaften wurden mit Hilfe unbewusster Kräfte gestaltet, die den Zweck haben, eine verzerrte Gesellschaftstheorie zu schaffen und bei Bedarf auch verzerrte Belege zu ihrer Unterstützung beizubringen.
    Eine Gesellschaftstheorie umfasst zwangsläufig ein komplexes System von Tatsachen, die vielleicht nur teilweise im Gedächtnis geblieben und schlecht organisiert sind, dann aber zur Konstruktion einer widerspruchsfreien, in sich selbst begründeten Gesellschaftstheorie dienen sollen. Widersprüche sind dann unter Umständen tief verborgen und lassen sich nur schwer nachweisen. Als die Republikaner im US -Repräsentantenhaus darüber lamentierten, was die Gründerväter wohl gedacht hätten, wenn sie gewusst hätten, dass ein zukünftiger Präsident (Clinton) Sex mit einer Praktikantin haben würde, erwiderte der schwarze amerikanische Comedian Chris Rock: Sie hatten zwar keinen Sex mit Praktikantinnen, dafür aber mit ihren Sklavinnen . Das ist natürlich eine wichtige Funktion des Humors: Er soll verborgene Täuschung und Selbsttäuschung offenlegen und die Luft herauslassen (siehe Kapitel 8 ).
    Persönliche Legenden und falsche historische Darstellungen
    Wir schaffen uns ständig neue Legenden. Indem wir uns selbst verherrlichen und andere verächtlich machen, erzeugen wir darüber hinaus automatisch verzerrte historische Darstellungen. Darin sind wir moralischer, attraktiver, »wohlwirksamer« gegen andere, als es den Tatsachen entspricht. Befunde aus jüngster Zeit lassen darauf schließen, dass 40 - bis 60 -Jährige ihre Erinnerungen an moralisch negative Handlungen ungefähr zehn Jahre weiter in ihre Vergangenheit verlegen als Erinnerungen an positive Taten. Eine ähnliche, aber nicht so ausgeprägte Verzerrung betrifft auch positive oder negative Handlungen, die nicht der Moral unterliegen. Das Ich früherer Zeiten hat sich schlecht benommen; das Ich der jüngeren Zeit hat es besser gemacht. Dessen bin ich mir auch in meinem eigenen

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