Betrug und Selbstbetrug
Hilfe eines sogenannten Primers einen vorübergehenden Geisteszustand erzeugt. Der Primer kann bewusst oder unbewusst sein und ist manchmal so kompakt wie ein einzelnes Wort, manchmal auch wesentlich komplexer. 16 Der Primer für Machtgefühle besteht darin, dass man Menschen auffordert, ungefähr fünf Minuten lang schriftlich eine Situation zu beschreiben, in der sie sich mächtig gefühlt haben; als Ergänzung lässt man sie in einer Gruppe Süßigkeiten verteilen. Die Gruppe, bei der ein Gefühl von Machtlosigkeit erzeugt werden soll, schreibt über die entgegengesetzte Situation, und jeder Einzelne darf nur sagen, wie viele Süßigkeiten er gerne hätte.
Dieser bescheidene Primer erzielte erstaunliche Wirkungen. Wurden die Versuchspersonen gebeten, fünfmal hintereinander mit den Fingern der rechten Hand zu schnippen und sich schnell den Buchstaben »E« auf die Stirn zu schreiben, so zeigte sich eine unbewusste Voreingenommenheit. Diejenigen, die zuvor auf Machtlosigkeit eingestellt worden waren, schrieben das E im Vergleich zu den »Mächtigen« dreimal häufiger so, dass andere es lesen konnten. Der Effekt war bei beiden Geschlechtern gleich stark. Auch zusätzliche Untersuchungen bestätigten die grundlegende Verschiebung der Aufmerksamkeit von anderen zur eigenen Person. Im Vergleich zu Personen mit einem neutralen Primer konnten diejenigen, die auf Macht eingestellt waren, weniger gut zwischen allgemein üblichen Gesichtsausdrücken für Angst, Wut, Traurigkeit und Glück unterscheiden. Auch hier reagierten beide Geschlechter ähnlich auf den Macht-Primer, im Allgemeinen sind Frauen aber besser zu den emotionalen Unterscheidungen in der Lage, Männer dagegen sind häufiger übermäßig selbstbewusst. Kurz gesagt, leiden mächtige Männer aufgrund ihrer Macht und ihres Geschlechts unter mehreren Defiziten, was ihre Fähigkeit betrifft, die Welt anderer richtig zu begreifen. Daher herrscht auf politischer Ebene, wo in der Regel mächtige Männer über Kriege befinden, eine fatale Voreingenommenheit: Die Entscheidungsträger orientieren sich weniger in Richtung anderer und neigen seltener dazu, den Standpunkt anderer wertzuschätzen – was leider häufig tragische Folgen hat (siehe Kapitel 11 ).
Es gibt sicher tausend Beispiele dafür, wie Macht bei Männern zu Blindheit führte, aber warum geschah es bei Winston Churchill nicht? Er erlebte in seinem Leben Höhen und Tiefen, die häufig kaum extremer hätten sein können. Im einen Augenblick war er britischer Premierminister während des Zweiten Weltkrieges – und damit einer der mächtigsten Premierminister aller Zeiten –, im nächsten hatte er als ehemaliger Premierminister nahezu überhaupt keine politische Macht mehr. Ähnlichen Wechselbädern war er auch im Ersten Weltkrieg ausgesetzt. Auf dem Höhepunkt seiner Macht wurde er als autoritär, arrogant und intolerant beschrieben; hatte er die Macht verloren, galt er als nachdenklich und sogar bescheiden.
Moralische Überlegenheit
Nur wenige Variablen sind in unserem Leben so wichtig wie unsere vermeintliche moralische Stellung. Mehr noch als Attraktivität und Kompetenz bestimmt die moralische Integrität mit darüber, welchen Wert andere uns beimessen – und deshalb wird sie leicht zum Gegenstand von Täuschung und Selbsttäuschung. Moralische Heuchelei ist ein tief verwurzelter Teil unserer Natur 17 : Wir neigen dazu, andere wegen der gleichen moralischen Unredlichkeit strenger zu beurteilen als uns selbst – oder Mitglieder anderer Gruppen strenger als die Angehörigen unserer eigenen Gruppe. So bin ich beispielsweise sehr nachsichtig, wenn es um meine eigenen Handlungen geht. Ich verzeihe mir im Handumdrehen eine Übertretung, deretwegen ich mit jedem anderen hart ins Gericht gehen würde – und reichere den Handel noch mit ein wenig mitfühlendem Humor an.
Wie die Sozialpsychologen nachweisen konnten, haben diese Effekte einen interessanten Dreh. Setzt man eine Person unter kognitive Belastung (etwa indem sie sich eine Zahlenreihe merken soll), während sie gleichzeitig eine moralische Bewertung anstellt, ist die übliche Voreingenommenheit zugunsten des eigenen Ich nicht zu beobachten. Wird die gleiche Bewertung dagegen ohne kognitive Belastung vorgenommen, zeigt sich eine starke Voreingenommenheit: Man beurteilt das eigene Handeln besser, als wenn ein anderer genau das Gleiche getan hätte. Dies lässt darauf schließen, dass tief in unserem Inneren die Tendenz verankert ist,
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