Betrug und Selbstbetrug
Dass dieses Leugnen zu Aggressionen gegen Geschlechtsgenossen führen kann, ist nicht verwunderlich: Die homosexuellen Seiten eines anderen können zu einer direkten Bedrohung für unsere eigene, verborgene Identität werden – fühlen wir uns entgegen unserem Willen von einem attraktiven jungen Mann mit üppiger Frisur und Frauenparfum angesprochen? Dann sollten wir ihn lieber angreifen, bevor irgendjemand unsere Erregung bemerkt. Der Vorgang wird manchmal auch als Reaktionsbildung bezeichnet. Was für das Ich attraktiv und gleichzeitig unannehmbar ist, wird in ihm selbst verschmäht und verleugnet, bei anderen jedoch attackiert. Ein Mann stärkt also sein heterosexuelles Selbstbild, indem er Homosexuelle angreift.
Für eine solche Dynamik sprechen Forschungsergebnisse aus jüngerer Zeit. In den Vereinigten Staaten teilte man heterosexuelle Männer der Kategorie A- 1 – nach den Kinsey-Kriterien bedeutet das: kein homosexuelles Verhalten, keine homosexuellen Gedanken oder Gefühle (jedenfalls nach eigenen Angaben) – in zwei Gruppen ein: Die einen waren relativ homophob (also aufgebracht angesichts von und feindselig gegenüber Homosexuellen), die anderen blieben relativ entspannt und regten sich nicht auf.
Diese Männer sahen sich nun drei sechsminütige erotische Filme an – Sex zwischen einem Mann und einer Frau, zwischen zwei Frauen und zwischen zwei Männern –, und gleichzeitig zeichnete ein am Penisansatz angebrachter Phallograph sehr genau den Penisumfang auf. Außerdem wurden die einzelnen Männer nach jedem Film gefragt, wie stark ihre Erektion und sexuelle Erregung gewesen seien. Das Ergebnis ist interessant. Auf die Filme mit heterosexuellen und lesbischen Darstellungen reagierten die relativ homophoben und nicht homophoben Männer ähnlich: Beide erzeugten starke Erregung, die heterosexuellen Szenen allerdings noch stärker. Der Unterschied betraf nur den Film, der männliche Homosexualität zeigte. Bei nicht homophoben Männern beobachtete man eine geringfügige, aber unbedeutende Zunahme der Penisgröße, der Penis homophober Männer dagegen wurde während der gesamten Zeit größer und erreichte zwei Drittel der Größe, die man während des Films mit den beiden Frauen gemessen hatte. Die anschließende Befragung zeigte, dass alle Probanden genau über das Ausmaß ihrer Penisvergrößerung und Erregung Bescheid wussten (beide waren stark korreliert); eine Ausnahme machten jedoch auch hier die homophoben Männer, die männlich-homosexuelle Szenen gesehen hatten. Sie leugneten sowohl ihre Erektion als auch ihre Erregung. Ob sie sich beider Phänomene überhaupt bewusst waren, ist nicht bekannt.
Ist Selbsttäuschung für eine Ehe
gut oder schlecht?
Was Sexualität und Liebe betrifft, gibt es in Beziehungen zwei extreme Formen der Täuschung. Entweder der Sex ist großartig, und man muss die Liebe vortäuschen, oder die Liebe ist echt, aber man muss beim Sex etwas simulieren. Solche Situationen hat jeder, der über 30 ist, schon einmal erlebt. Wenn wir beim Sex etwas vortäuschen müssen, nehmen wir häufig die Phantasie, einen früheren Partner, einen imaginären Partner oder einen imaginären Geschlechtsakt zu Hilfe, je nachdem, was uns gerade anmacht. Solche Beziehungen sind für den Partner oder die Partnerin besonders gefährlich. Ist der andere sich unserer wirklichen Reaktionen nicht bewusst, ist er auch nicht auf den Betrug vorbereitet, der ihn wahrscheinlich erwartet. Andererseits ist es vielleicht viel schwieriger, Liebe vorzutäuschen, wenn man in Wirklichkeit nur ein starkes sexuelles Interesse hat. Wenig liebevolle Beziehungen sind oft unsteter, leidenschaftlicher Sex geht hier häufig mit offener Feindseligkeit einher.
Die einfache Antwort auf die Frage nach den Auswirkungen der Selbsttäuschung in einer Ehe lautet: Es hängt von der Art der Selbsttäuschung ab. Eine positive, die Paarbindung verstärkende Form der Selbsttäuschung scheint nützlich zu sein; dient die Selbsttäuschung aber dem Ziel, die eigenen kognitiven Widersprüche auf die übliche egoistische Weise aufzulösen, hat sie offenbar die gegenteilige Wirkung – statt die Beziehung zu überhöhen, distanziert man sich von ihr. Das Sprichwort, man solle mit zwei offenen Augen in die Ehe gehen und innerhalb der Ehe ein Auge zudrücken, fängt einen Teil der Realität ein. Wer sich entscheiden muss, ob er sich binden soll, wägt Kosten und Nutzen ab; haben wir uns aber einmal gebunden, sollten wir uns bemühen,
Weitere Kostenlose Bücher