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Betrug und Selbstbetrug

Betrug und Selbstbetrug

Titel: Betrug und Selbstbetrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Trivers
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Ergebnis ausmalen, überschätzen wir unser zukünftiges Glück, für ein schlechtes Ergebnis gilt das Umgekehrte. Es ist, als würden wir unsere derzeitigen Gefühle überprüfen und dann in die Zukunft projizieren. Wir stellen uns nicht vor, dass wir »zum Mittelwert zurückkehren«, also von Natur aus wieder ein durchschnittliches Glücksniveau erreichen werden. Wir gehen auch nicht davon aus, dass wir in Zukunft weniger glücklich sein werden als in unserem derzeitigen Glückszustand, und ebenso wenig nehmen wir an, dass wir in Zukunft glücklicher sein werden als in unserem derzeitigen Unglück. Deshalb waren die Anhänger Kerrys nach der US -Präsidentschaftswahl von 2004 weniger enttäuscht, als sie vorher vermutet hatten, und die Anhänger Bushs entsprechend weniger begeistert.
    Vieles spricht dafür, dass wir ähnliche Fehler begehen, wenn wir die Gefühle anderer voraussagen wollen, ganz gleich, ob es sich um Freunde oder Fremde handelt. Ganz ähnlich wie bei uns selbst überschätzen wir auch bei anderen die Auswirkungen eines emotionalen Ereignisses auf ihre zukünftigen Gefühle. Unsere Prophezeiungen über sie stehen in einer engen Korrelation mit ihren eigenen, aber beide haben für die Zukunft keinen großen Vorhersagewert.
    Das Problem liegt in der Interpretation. Manche sehen darin eine Form der Selbsttäuschung, bei der wir uns nicht bewusst sind, in welchem Umfang unser Selbsttäuschungssystem unsere Gedanken über die Zukunft neu gestaltet. Ich habe daran meine Zweifel. Zukunftsprojektionen sind deshalb so einfach, weil sich in ihnen unser derzeitiger emotionaler Zustand ausdrückt. Verbale Voraussagen über zukünftige geistige Zustände dürften eine relativ neue Erfindung sein und nur eine begrenzte Selektionswirkung haben. Die einschlägigen Mechanismen sind in unser Verhalten bereits eingebaut, ganz gleich, was wir mit Worten prophezeien.
    Auffällig sind allerdings gewisse Ausnahmen von dieser Regel. Ich weiß noch, wie ich einer Schönheit aus Nigeria in einem Club in Amsterdam drei Stunden lang aus sicherer Entfernung »den Hof machte«, ohne dass ich jemals den Mut aufgebracht hätte, sie anzusprechen. Als sie ging, warf sie mir einen vernichtenden Blick voller Verachtung zu, der sich tief in meine Seele einbrannte. Wäre ein Sozialpsychologe vor Ort gewesen, der meine »affektive Vorhersage« hätte messen können, hätte er wohl nicht damit gerechnet, dass die Erinnerung an das Ereignis mir noch heute, 25 Jahre später, im Gedächtnis brennt. Ich selbst hätte damals vermutlich angenommen, dass ich den ganzen Abend innerhalb von ein bis zwei Jahren vergessen würde.
    Ist Einseitigkeit immer eine Folge
von Selbsttäuschung?
    Einseitigkeit ist ein typisches Kennzeichen der Selbsttäuschung. Dabei handelt es sich nicht nur um Rechenfehler. Solche Fehler sind häufig nach dem Zufallsprinzip rund um die Wahrheit verteilt und lassen keine besondere Gesetzmäßigkeit erkennen. Selbsttäuschung dagegen führt zu Einseitigkeit, zu Mustern, in denen die Daten in eine Richtung weisen – meist in die der Selbstverherrlichung oder Selbstrechtfertigung. Doch es gibt auch Formen der Einseitigkeit, die echt, aber nicht durch Selbsttäuschung bedingt sind.
    Betrachten wir einmal folgendes Beispiel. Geräusche, deren Quelle auf uns zukommt, empfinden wir näher und lauter, als sie wirklich sind, entfernt sich die Quelle von uns, gilt das Gegenteil. 8 Auch das ist eine Einseitigkeit, und es gibt dafür eine ausgezeichnete Erklärung: Objekte, die sich uns nähern, sind von ihrem Wesen her gefährlicher als solche, die sich entfernen – daher ist eine frühzeitige, genauere Erkennung von Nutzen. Angenommen, der Organismus misst Entfernungen nicht in Newton’schen, sondern in Darwin’schen Einheiten, dann besteht keine Einseitigkeit.
    Ein anderes Beispiel: Aus der Krone eines Baumes erscheint die Fallhöhe zur Erde viel größer, als wenn man die gleiche Strecke vom sicheren Boden aus betrachtet. Diese Wahrnehmungsverzerrung hat keine soziale Komponente. Wir versuchen damit nicht, die Meinung anderer zu manipulieren, sondern schützen uns unmittelbar selbst. Ähnlich harmlose Erklärungen gibt es für zahlreiche andere Fehler. Manchmal sind es einfache optische Täuschungen, Lücken in unserem Sinnessystem, die unter bestimmten Bedingungen verblüffende Verzerrungen verursachen. Ein anderes Mal handelt es sich um allgemeine Regeln, die in den meisten Situationen gut funktionieren, in einigen Fällen

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