Betrug und Selbstbetrug
Dissonanz bezeichnet man einen inneren psychologischen Widerspruch, den wir als Spannungszustand oder ungutes Gefühl wahrnehmen. Das Spektrum reicht dabei von kleineren Gewissensbissen bis zu tiefer Qual. Deshalb unternehmen Menschen häufig etwas, um die kognitive Dissonanz zu verringern. Man erkennt, dass der Mensch zwei Erkenntnisse – Ideen, Einstellungen oder Überzeugungen – hegt, die sich nicht vertragen: »Rauchen kann tödlich sein, und ich rauche zwei Packungen am Tag.« Auflösen lässt sich der Widerspruch, indem man entweder mit dem Rauchen aufhört oder es rationalisiert: »Ich kann mich dabei entspannen, und es verhindert, dass ich zunehme.« Die meisten Menschen wählen den zweiten Weg und konstruieren angesichts einer viel schwierigeren (allerdings auch gesünderen) Alternative eine Selbstrechtfertigung. Manchmal gibt es aber auch nur eine Möglichkeit, weil der Preis bereits bezahlt wurde: Dann können wir ihn nur rationalisieren oder mit der Wahrheit leben.
Betrachten wir einmal einen klassischen Fall. Versuchspersonen wurden in zwei Gruppen eingeteilt: In der einen mussten Teilnehmer einen schmerzlichen oder peinlichen Test über sich ergehen lassen, um in die Gruppe aufgenommen zu werden, in der anderen hatten sie dafür einen bescheidenen Geldbetrag zu zahlen. Dann sollte jeder Einzelne die Gruppe anhand einer Videoaufnahme beurteilen, die eine absichtlich möglichst langweilige und nahezu zusammenhanglose Gruppendiskussion zeigte. Diejenigen, die den höheren Preis des Tests gezahlt hatten, bewerteten auch die Gruppe positiver als jene, die nur das geringe Eintrittsgeld entrichtet hatten. Der Effekt ist stark ausgeprägt. Personen, die nur wenig bezahlt hatten, bezeichneten die Diskussion als öde und nutzlos und die Menschen als reizlos und langweilig. Genau so sollte die Aufnahme eigentlich wirken. Dagegen behaupteten jene, die den hohen Preis bezahlt hatten (indem sie pornographische Texte in einer peinlichen Situation laut vorgelesen hatten), sie fänden die Diskussion interessant und spannend, und die beteiligten Personen seien attraktiv und scharfsinnig.
Wie lässt sich so etwas erklären? Nach der herrschenden Lehrmeinung bedeuten weniger Schmerzen einen höheren Gewinn, und entsprechende Maßstäbe sollte der Geist anlegen. Wir dagegen finden etwas anderes: Auf mehr Schmerzen folgt eine stärkere nachträgliche Rationalisierung, die den scheinbaren Nutzen der Unannehmlichkeiten steigern soll. Der Preis ist bereits gezahlt, und man kann ihn nicht mehr zurückerstattet bekommen; man kann sich aber die Illusion schaffen, dass die Kosten nicht so hoch oder der spätere Nutzen größer waren. Letztlich lässt man sich den Preis also psychologisch zurückerstatten, und genau dafür entscheiden sich die meisten Menschen. Dieses Experiment wurde viele Male angestellt und lieferte immer das gleiche Ergebnis. Wo die Gründe liegen, ist allerdings bis heute nicht ganz geklärt. Es dient mit Sicherheit der Widerspruchsfreiheit – wer einen höheren Preis gezahlt hat, muss sich auch einen größeren Nutzen verschafft haben. In ihrem eigenen Verhalten sind sich die Menschen dieses Defekts oft erstaunlich wenig bewusst. Selbst wenn man ihnen das Experiment ausführlich erklärt und die individuelle Voreingenommenheit nachweist, erkennen die Menschen zwar das allgemeine Ergebnis als wahr an, behaupten aber, es würde auf sie nicht zutreffen. Stattdessen werfen sie einen inneren Blick auf ihr Verhalten, und darin bedeutet das mangelnde Bewusstsein für den manipulierenden Faktor, dass es keinen manipulierenden Faktor gibt.
Die Notwendigkeit, die kognitive Dissonanz zu vermindern, hat auch starken Einfluss darauf, wie wir auf neue Informationen reagieren. Wir haben es gern, wenn unsere Voreingenommenheit bestätigt wird, und um diesen angenehmen Zustand herzustellen, sind wir bereit, neu hinzukommende Informationen zu manipulieren oder zu ignorieren. Dies geschieht so regelmäßig und ist derart ausgeprägt, dass es dafür einen eigenen Namen gibt: Man spricht vom Bestätigungsfehler. Oder, wie ein britischer Politiker es formulierte: »Ich sehe mir gern jeden weiteren Beleg an, der die Meinung bestätigt, zu der ich bereits gelangt bin.«
Unsere Rationalisierungstendenzen sind so stark, dass wir negativen Indizien häufig sofort mit Kritik, Verfälschung und Verächtlichmachung begegnen, denn dann brauchen wir nicht unter großer Dissonanz zu leiden und unsere Meinung nicht zu ändern. Der
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